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1188 - Wartesaal zum Jenseits

1188 - Wartesaal zum Jenseits

Titel: 1188 - Wartesaal zum Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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an.
    Sie wich dem Blick aus.
    Clemens setzte an, um etwas zu sagen, doch er fand keine Worte und schwieg.
    Sekunden verstrichen. Tessa erholte sich nur langsam. Der Sessel war jetzt wie ein Schutz für sie.
    Sie presste sich gegen die Rückenlehne und starrte auf die Figur. Sie sah sie jetzt mit anderen Augen an. Dieses kleine Schnitzwerk war einfach grauenhaft, so wunderbar es äußerlich auch wirkte. Aber sie hasste es. Sie wehrte sich dagegen. Sie wusste, dass es zu einer Feindin geworden war, und sie hasste damit auch ihre Mutter, deren Geist in der Figur steckte.
    Es war Ben Clemens, der sich als erster wieder so weit gefangen hatte, um eine Frage zu stellen.
    »Was… was… war das?«, flüsterte er. »Was ist das gewesen?« Er starrte Tessa dabei so intensiv an, als wollte er sie hypnotisieren.
    »Ich weiß es doch nicht«, erklärte sie mit jämmerlicher Stimme. »Ich weiß es wirklich nicht. Tut mir Leid. Ich… ich… habe keine Ahnung, Mr. Clemens.«
    Er schrie: »Aber deine Mutter… ihr Geist steckt in dieser Figur!«
    »Meine Mutter ist tot!«
    »Nein!«, schrie er wieder und schlug um sich. »Sie ist nicht tot. Sie kann nicht tot sein. Sie lebt. Darauf haben wir unsere Hoffnungen gesetzt. Für mich und meine Freunde ist sie nicht tot. Sie ist nur in ein anderes Reich gegangen. In die Glückseligkeit. Und jetzt hat sie geschrieen. Sie hat so grauenvoll geschrieen, verstehst du? Das passt nicht in unsere Weltanschauung hinein. Begreifst du das?«
    »Nein.«
    Ben Clemens sprang auf Tessa zu. Er packte sie und schüttelte sie im Sitzen durch. »Was da passiert ist, kann und darf nicht sein. Es passt nicht zu unserer Glückseligkeit. Es kann nicht zum Weg der Heiligen gehören. In ihrer Welt schreit man nicht. Verflucht noch mal, das musst du mir glauben.«
    Er ließ sie los und sprang wieder zurück.
    Die nächsten Worte sprach er zu sich selbst. »Aber sie hat geschrieen. Wir beide haben es gehört. Auch wenn ich mich wiederhole. Es muss einen Grund geben, dass sie das getan hat. Und ich kann mir auch vorstellen, was der Grund gewesen ist.« Seine Stimme veränderte sich nicht nur von der Lautstärke her, sondern auch vom Timbre. Er sprach flüsternd und wirkte, als wäre er mit seinen Gedanken woanders. Er ging zum Tisch und streichelte über den Kopf der Figur. »Ja, ich kann mir denken, was passiert ist, meine Liebe. Man hat dir etwas Böses getan. Jemand ist gekommen, der dich nicht so haben will wie du bist. Das ist mir schon klar, meine kostbare Freundin. Du hast Feinde. Dabei wolltest du nur gut sein. Aber die Menschen sind eben so. Nur meine Freunde und ich nicht, denn wir sind angetreten, um dich zu beschützen.«
    Tessa hatte jedes Wort gehört. Sie fragte sich, in welch einer Welt sich dieser seltsame Geistliche befand. Ihrer Meinung nach hatte er jetzt völlig den Boden der Tatsachen verlassen und schwebte irgendwo zwischen Wahn und Wirklichkeit.
    Er drehte Tessa den Kopf zu. »Bitte, du hast es gehört. Sie hat Feinde. Deine Mutter hat Feinde über ihren Tod hinaus.« Sein Blick wurde plötzlich kalt und wissend. »Ahnst du, Tessa, worauf ich hinauswill?«
    »Nein… nein… ich…«
    »Doch, denke nach.«
    Verdammt, das tue ich doch, dachte Tessa. Sie wusste wirklich nicht, in welche Richtung sich die Gedanken dieses Fanatikers bewegten. Vielleicht hätte sie es durch scharfes Nachdenken geschafft.
    Dazu war sie nicht in der Lage.
    Er wollte aber eine Antwort und fragte mit lauter Stimme: »Warum sagst du denn nichts?«
    »Weil ich nichts weiß.«
    »Ach, hör auf, verflucht.« Er schüttelte den Kopf. »Gut, dann sage ich es dir. Ich sage dir alles. Ich geb dir die Schuld, denn du hast es in die Wege geleitet.«
    »Was denn?« schrie Tessa.
    »Das Öffnen des Grabs. Die Exhumierung.« Er stand so dicht vor ihr, dass sein Speichel in ihr Gesicht sprühte. »Ja, verdammt, das ist der Grund! Es wurde die Totenruhe gestört. Das darf man nicht. Nicht bei normalen Leichen und schon gar nicht bei welchen, die etwas ganz Besonderes sind. Aber du hast es getan, Tessa. Du allein. Und dafür wirst du büßen, das glaube mir.«
    »Sie… Sie… sind wahnsinnig, Clemens.«
    Er ging nicht auf ihre Antwort ein, sondern drehte sich zur Seite und umfasste die Figur mit der linken Hand. Er hob sie an und brachte sie dicht vor Tessas Gesicht. »Da… da… schau sie dir genau an. Schau in das Gesicht. Sieh in die Augen deiner Mutter. Sage mir, was du siehst.« Er wollte die Antwort gar nicht hören, denn er

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