1191 - Monsterblut
sprach weiter. »Wie lange kennst du die Schwester schon?«
»Weiß nicht!« Er reckte trotzig sein Kinn vor. Ein Zeichen, dass er nichts mehr sagen wollte.
»Aber man hat sie nicht zwischen den Mülltonnen gefunden - oder?«
»Weiß nicht!«, wiederholte er sich.
»Aber du hast auf sie gehört?«
Mills schaute mich an. »Das musste ich doch. Ja, ich habe auf sie gehört. Es war wichtig für mich.«
»Und sie hat dir auch gesagt, dass du deine Stiefeltern töten sollst? Sehe ich das so richtig?«
»Ja, das hat sie!«
»Warum sieht sie so anders aus?«
Es war eine wichtige Frage gewesen, und ich lauerte auf die Antwort. Dabei beobachtete ich Mills genau. Er bekam einen anderen Blick. Man konnte ihn schon als träumerisch bezeichnen, als würde er sich in die Vergangenheit zurückziehen.
»Nun?«
Noch immer schaute er an uns vorbei. Dann zuckte er mit den Schultern. Seine Worte überraschten uns. »Wir haben das gleiche Blut in uns! Wir sind blutsverwandt. Es ist so wunderbar. Ich dachte, allein auf der Welt zu sein, aber das stimmt nicht. Es gibt jemand, der mich beschützt. Ich kenne sie.«
»Hat sie einen Namen?« fragte Purdy.
»Sie ist meine Schwester.«
»Also keinen Namen?«
»Muss sie das denn?«
Purdy Prentiss wechselte das Thema. »Wo können wir sie finden? Oder wo findest du sie? Wo hält sie sich auf?«
»Sie ist überall«, antwortete er hastig. »Ja, überall. Sie sieht mich immer. Ich bin nie mehr allein. Früher war ich allein, aber heute bin ich es nicht mehr. Ich vertraue ihr.« Nach diesen Worten fing er an zu lächeln und tauchte wieder ein in seine eigene Gedankenwelt. Wir waren für ihn nicht mehr existent. Er schaute in sich selbst hinein. Uns vergaß er dabei. Er lächelte. Er faltete die Hände.
Purdy und ich merkten beide, dass sich zwischen uns und ihm eine Mauer aufgebaut hatte, die keiner von uns durchdringen konnte, obwohl es sicherlich noch viel zu sagen gegeben hätte.
»Es ist am besten, wenn wir ihn wieder zurück in die Zelle bringen lassen«, flüsterte mir die Staatsanwältin zu. »Mit ihm ist nichts mehr anzufangen, das spüre ich.«
Lange brauchte ich nicht nachzudenken, um ihr Recht zu geben. Brian Mills war in sich selbst versunken. Wir saßen zwar noch in seiner Nähe, aber er nahm uns gar nicht wahr. Sein Blick war leicht verdreht und die Lippen waren zu einem Lächeln verzogen, als würde er etwas sehen, was uns verborgen blieb.
»Ich will wieder gehen!« sagte er.
»Natürlich!« Purdy lächelte ihm knapp zu. »Du hast uns ja alles gesagt, Brian. Aber fühlst du dich nicht allein in deiner Zelle?«
»Ich bin nicht allein!«
Purdy nickte, bevor sie fragte: »Ist… ähm… ist sie denn bei dir?«
»Ja, ja. Meine Schwester. Sie ist immer dabei.«
»Dann sind wir zufrieden.« Purdy griff in ihre Jackentasche und holte ein kleines Gerät hervor, nicht größer als eine Zigarettenschachtel. Damit piepste sie einen der Wärter an, und es dauerte nicht lange, bis der rothaarige Jack Daniels an der zweiten Tür erschien und dort abwartend stehen blieb.
»Sie können ihn wieder mitnehmen«, sagte Purdy. »Wir sind mit unseren Fragen so weit fertig.«
»Natürlich.«
Daniels trat auf Brian zu. Der schaute ihn an und grinste dann, als hätte er einen guten Freund gesehen.
»Hi, auch noch da?«
»Klar, ich arbeite hier.«
»Toll. Ich finde den Weg eigentlich allein.«
»Lass mal, Brian. Vorschrift ist Vorschrift.« Er hatte die Handschellen hervorgeholt, und Brian streckte ihm schon freiwillig die Hände entgegen. Er schien sich zu freuen, uns endlich loswerden zu können. Fast fröhlich stand er auf und ließ sich fesseln. Es drängte ihn, den Besucherraum zu verlassen. Er warf uns auch keinen Blick mehr zu und sah nur seinen Bewacher an, der mit ihm verschwand.
Als die Tür zugefallen war, schüttelte Purdy den Kopf. »Nein«, sagte sie, »das ist eigentlich nicht zu fassen. Ich frage mich, was hinter seiner Veränderung steckt. Wir haben sie erlebt, John. Er war plötzlich so anders. Er war fröhlich. Er wirkte wie jemand, dem alles großen Spaß gemacht hat, nicht wie einer, der im Knast sitzt.«
»Ja«, murmelte ich. »Das ist seltsam.«
»Wie lautet denn deine Erklärung?«
Purdy ruckte mit dem Stuhl herum, um mich besser ansehen zu können.
»Es liegt an dem Monster.«
»An der Schwester.«
»Wie auch immer.«
»Glaubst du ihm das?«
Es war eine gute Frage, und mir fiel die Antwort alles andere als leicht. »Das normale Denken spricht
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