1199 - In den Klauen des Ghouls
Friedhofserde grub, das alles wusste Glenda. Das akzeptierte sie auch. Wenn es diese Dämonen schon gab, dann sollten sie auf dem Friedhof bleiben, bitte sehr.
Der hier wohnte in einem Haus. Er lebte bei seiner Mutter und hieß Elmar.
Glenda musste sich zusammenreißen, um nicht zu schreien, wenn sie daran dachte, dass ein Ghoul Eltern besaß. Das konnte sie sich nicht vorstellen, denn keine Frau war in der Lage, einen Ghoul zu gebären. Es gab ja vieles auf dieser Welt, das aber nicht.
Betty Brown war so weit nach vorn gegangen, dass sie ihren »Sohn« sah.
»Hallo, Elmar«, sagte sie und winkte ihm zu. »Sieh mal, wer uns da besucht hat.«
Elmar ging noch eine Stufe weiter und blieb stehen. Er drehte den Schädel, um seine Mutter zu sehen. Wieder hörte Glenda das Schmatzen, und sie sah auch, dass der Ghoul schwitzte. Zumindest lösten sich von der Körpermasse immer wieder Tropfen, die bis zu seiner Hose rollten und dem Stoff dort noch einen größeren Glanz verliehen.
Sie schüttelte sich. Sie wollte weg, und sie wusste, dass sie es nicht konnte.
Von Betty Brown wurde sie nicht beachtet. Die deutete mit ihrem zuckenden Zeigefinger auf Glenda. »Schau, mein Liebling, wer mich da besucht hat.«
Elmar glotzte Glenda an, sagte jedoch nichts.
»Ist sie nicht hübsch? Ist sie nicht schön? Hast du schon so etwas Wunderbares bekommen? Bestimmt nicht, Elmar. Ich denke mir, dass du sie genießen wirst. Du wirst endlich wieder einen richtigen Spaß mit ihr haben, meine ich.«
Elmar hatte alles gehört. Er reagierte auch. Sein Gesicht geriet in Bewegung, und es sah aus, als würden Wellen darüber hinweglaufen. Auch das Maul blieb nicht ruhig. Er klappte es zum ersten Mal weit auf, und so konnte Glenda einen Blick in diesen Rachen werfen, der mit scharfen Zähnen bewehrt war.
Es war schlimm. Sie wusste Bescheid. Sie war darüber informiert, was Ghouls mit ihren Opfern anstellten. Sie rissen sie auseinander wie die Raubtiere ihr Opfer. Als sie den Glanz in seinen Augen sah, da hatte sie das Gefühl, von ihm als eine Vorspeise betrachtet zu werden.
Sie hätte ihm noch entkommen und die Tür erreichen können. Die aber war abgeschlossen, und deshalb suchte Glenda fieberhaft nach einem anderen Ausweg.
Gab es den?
In ihrer Tasche steckte ein Handy. Nicht in der Handtasche, sondern in der des Mantels. Sie hätte John Sinclair längst anrufen können, doch es hatte sich nicht ergeben. So war sie völlig hilflos, und sie merkte sehr deutlich, wie der erste Anflug von Panik in ihr hochstieg.
Als einzigen Ausweg gab es nur das Fenster. Sie hätte hinlaufen und sich durch die Scheibe werfen müssen. Auch das konnte sie vergessen, denn das Fenster war zu klein. Sie wäre eventuell hindurchgekommen, doch nur mit einem großen Zeitverlust.
Es lief nichts mehr für sie.
Es war vorbei!
Ich stecke in der Falle!, dachte sie verzweifelt, während sie den Ghoul nicht aus den Augen ließ, der sich schon auf seine Mahlzeit freute.
Sein Maul hielt er offen. Etwas bewegte sich darin. Es konnte nur eine Zunge sein, die er jetzt wie einen Lappen nach vorn schob. Sie schimmerte rosig und war von einer dicken, stinkenden Schleimschicht bedeckt, die er jetzt um das lippenlose Maul herum verteilte. Und noch immer lösten sich die Tropfen, die über seinen Körper rollten. Er war jetzt gereizt. Er stand unter Strom. Er hatte wieder ein neues Opfer zum Greifen nahe vor sich, und wahrscheinlich durchwühlte ihn auch der Hunger.
»Du kannst sie dir holen, Elmar. Sie gehört dir - dir ganz allein. Ich werde euch nicht stören.«
Glenda hatte zugehört. »Was?« schrie sie. »Sie wollen nicht stören, Betty? Wollen Sie mich mit dem verdammten Leichenfresser hier allein lassen?«
»Ja, ja, das will ich. Aber du kennst dich gut aus. Leichenfresser, das sagt so leicht nicht jeder.«
»Leider kenne ich mich aus.«
»Er wird dich bestimmt noch nicht sofort umbringen, Glenda. Das macht er nie. Er genießt noch seine Vorfreude auf das köstliche Mahl. Er will einfach seinen Spaß mit dir haben. Das gönne ich ihm. Er hat lange nichts Richtiges mehr bekommen. Nicht wahr, Elmar?«
Als Zustimmung war von Elmar ein widerliches Schmatzen zu hören. Er deutete auch Kaubewegungen an.
Glenda wünschte sich eine Waffe. Nur eine geweihte Silberkugel würde ausreichen, um den Ghoul eintrocknen zu lassen. Aber sie konnte sich keine herzaubern. Es blieb ihr noch eine Chance, bevor der Ghoul sie zu fassen bekam. Es musste ihr trotz allem gelingen, durch
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