12 – Das Raetsel von Chail
erklärte er ruhig. »Ich habe Nahar bis an die östliche Küste durchstreift. Dort fand ich Jäger, die die großen Fische fingen. Sie nahmen mich mit hinaus, von einer Insel zur anderen, bis nach Fard. Diese Muscheln sind Andenken an meine Wanderungen.«
»Fard – ist das der nächste Kontinent?«, fragte Atlan und hoffte, dass der Translator richtig übersetzte.
»So ist es.«
Das bedeutete, dass Amodar das Wagnis eingegangen war, entlang einer der Inselketten, die etliche der Kontinente von Chail miteinander verbanden, aufs Meer hinauszufahren.
»Befinden wir uns auf Nahar?«
»Ja. Ich bin den langen Weg zurückgegangen. Das dort habe ich mitgebracht.«
»Bist du zu Fuß gegangen, oder habt ihr auch Reittiere hier auf Chail?«
»Wir haben die Murlen.«
Atlan sah den Chailiden fragend an.
Amodar winkte ab. »Ich zeige sie dir«, versprach er.
Atlan warf einen letzten Blick auf Amodars Sammlung. Es waren nur wenige Stücke, aber sie hatten ihr Gewicht. Zudem war anzunehmen, dass die Chailiden keine besonders guten Seefahrer waren. Ihre Kontinente waren alle eng miteinander verbunden. Für diese Wesen hatte es niemals einen Grund gegeben, sich mit Seeschiffen in unbekannte Gebiete zu begeben. Den Äußerungen Amodars ließ sich entnehmen, dass er aus Ungilara oder einem benachbarten Dorf stammte, also eine echte Landratte war. Der Mann hatte nicht nur Verstand, sondern auch Mut – und er war zäh, er gab nicht so leicht auf. Er musste auch körperlich auf der Höhe sein.
Atlan wusste in etwa, wie weit Ungilara von der östlichen Küste entfernt war. Selbst wenn die Murlen schnelle und ausdauernde Reittiere waren, musste ein solcher Ritt mit einigen Strapazen verbunden sein.
»Du hattest Fragen«, sagte Amodar. »Welche ist dir am wichtigsten?«
»Wer oder was sind die Uralten?«
Amodar ließ sich am Kopfende seines Lagers nieder. Ein Fell, das dort wie ein Kopfkissen lag, wurde lebendig und entpuppte sich als eine katzenartige Kreatur, die sich behaglich reckte und streckte und dann auf Amodars Schoß sprang. Der Chailide begann das Tier mechanisch zu streicheln.
»Die Uralten«, wiederholte er nachdenklich. »Eine schwierigere Frage hättest du mir kaum stellen können.«
»Einer von ihnen lebt hier in Ungilara«, sagte Atlan. »Ihr müsst ihn also kennen.«
»Müssen wir das?«, fragte Amodar. Er lächelte, wurde aber sofort wieder ernst. »Die Uralten sind Meditierende, die einen bestimmten Schritt getan haben, durch den sie einen besonderen Status besitzen.«
»Welchen Schritt?«
»Das weiß niemand«, sagte Amodar resignierend. Er deutete Atlans Gesichtsausdruck richtig und fügte hinzu: »Niemand außer denen, die eingeweiht sind. Und die schweigen!«
Atlan dachte über diese Antwort nach. Die Uralten waren also Chailiden – sein flüchtiger Verdacht, dass die Roxharen diese Hütte als Beobachtungsstation eingerichtet hatten, war somit hinfällig. »Aber ihr müsst doch wissen, wer in dieser Hütte haust«, sagte er laut. »Irgendwann ist jemand dort hineingegangen ...«
»Nein. Niemand geht in die Hütte des Uralten.«
Atlan, der ein feines Gespür für solche Dinge hatte, lenkte ein. »Na schön«, murmelte er. »Vielleicht ist er nicht gerade im Triumphzug dort eingezogen, aber er kann sich dorthin geschlichen haben. Ungilara ist klein – es muss auffallen, wenn plötzlich jemand verschwindet. Dieser Jemand wohnt fortan in der Hütte des Uralten. Was tut er dort?«
Amodar vollführte eine Geste der Ratlosigkeit. »In den letzten fünf Jahren sind zwei Meditierende verschwunden«, erklärte er. »Beide waren noch relativ jung, jedenfalls nicht alt genug, um die Bezeichnung uralt zu verdienen. Sie ordneten ihre Angelegenheiten – und waren eines Tages nicht mehr da. Niemand weiß, wohin sie gegangen sind – wenn sie gegangen sind. Unsere Jäger sind wachsam. Sie haben niemanden gesehen.«
»Das heißt, dass diese beiden vermutlich in der Hütte des Uralten sitzen.«
»Das erscheint logisch«, räumte Amodar ein.
»Aber?«
Der Chailide beugte sich vor. »Es gibt in jedem unserer Dörfer eine Hütte des Uralten«, sagte er eindringlich. »Und in jedem Dorf verschwinden Meditierende in unregelmäßigen Zeitabständen. Sie hinterlassen keine Spuren, und man sieht sie nie wieder – weder lebend noch tot. Vor jede dieser Hütten wird allabendlich eine Mahlzeit gestellt – nur eine, nicht mehr, und sie darf nicht zu üppig sein. Um auf Ungilara zurückzukommen: Als Saghar
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