12 Stunden Angst
Mann wie Billy Ray Ellis eine Situation wie diese friedlich lösen konnte? Er hatte als Petroleum-Prospektor gearbeitet, bevor er die Wahl zum Sheriff gewonnen hatte, und er war ein Patient von Warren. Wie lange würde er warten, bevor er den Befehl erteilte, das Haus zu stürmen? Seine Deputies waren wahrscheinlich ehemalige Highschool-Sportskanonen mit einem Überschuss an Testosteron. Warren konnte erschossen werden, oder er würde den Rest seines Lebens im Parchman-Gefängnis verbringen. Und selbst wenn er beschloss, sie nicht zu bestrafen, weil sie den Notruf getätigt hatte, konnte sie durch eine verirrte Kugel oder eine Tränengasgranate versehentlich getötet werden. Nein, sie musste diese Krise selbst lösen – und das schnell, bevor die Kinder nach Hause kamen.
Ich könnte Diane eine SMS schicken!, dachte sie mit schwindelerregender Erleichterung. Ich könnte ihr sagen, dass sie die Kinder mit zu sich nach Hause nehmen soll.
Sie wollte schon die Hand in die Hosentasche schieben, als ihr klar wurde, welche Risiken sie mit diesem Anruf eingehen würde. Die SMS würde als Absender die Nummer ihres geheimen Handys tragen, das auf Dannys »hilfreichen Freund« registriert war. Die unbekannte Nummer mochte Diane genug verwirren, um sie auf dem Festnetz anrufen zu lassen. Aber was war, wenn Diane nach der Schule etwas anderes zu tun hatte? Was, wenn sie zurückzurufen versuchte? Laurels geheimes Handy war stummgeschaltet, doch wenn Diane keine Antwort bekam, würde sie ebenfalls auf dem Festnetz anrufen. Warren würde den Anruf entgegennehmen und in weniger als einer Minute wissen, dassLaurel eine SMS von einem Handy abgeschickt hatte – game over.
Laurel zog die Hand aus der Tasche. Sie durfte nicht riskieren, ihr Geheimhandy jetzt schon zu verlieren.
Ich muss hier raus, dachte sie. Konnte sie Warren angreifen? Ihn hart genug schlagen, um ihn außer Gefecht zu setzen? Falls ja, konnte sie ihre Wagenschlüssel wieder an sich nehmen, was die Distanz stark verringerte, die sie laufen musste. Sie blickte sich in dem großen Raum nach einem schweren Gegenstand um. Eine dicke Vase aus mundgeblasenem Glas an der gegenüberliegenden Wand war vielleicht geeignet. Doch sie musste den richtigen Moment abpassen. Wenn sie versuchte, Warren niederzuschlagen, ihn aber nur verletzte … sie wusste nicht, wie er reagieren würde. Mit Sicherheit würde er sie fesseln, und dann war sie hilflos, wenn die Kinder nach Hause kamen und mitten in diese Horrorshow platzten. Bei diesem Gedanken begannen Laurels Hände heftig zu zittern, der Mund wurde ihr trocken, und Schweiß trat ihr auf die Stirn.
Lass dich nicht von blinder Panik fertigmachen. Bleib ruhig, konzentriere dich auf deine Sicherheit, selbst wenn du …
»Sicherheit«, sagte sie leise.
»Was?« Warren hob den Kopf und starrte sie aus rot geränderten Augen an.
»Ich … nichts. Es sind diese grässlichen Kopfschmerzen …«
»Das Imigran wirkt gleich, keine Bange.«
Warrens Antwort war automatisch. Laurel hatte diese Roboterstimme Tausende Male bei ihm gehört, wenn Krankenpfleger nachts angerufen und um Anweisungen und Tipps gebeten hatten. Doch Laurel hörte ihm gar nicht zu. Das Wort hatte einen anderen Gedanken in ihr geweckt – den Gedanken an einen Raum, auf dessen Einbau sie bestanden hatte, bevor sie eingezogen waren. Manche Leute sagten Panikraum, doch der Architekt, mit dem sie gearbeitet hatte, hatte es einfach »Sicherheitszimmer« genannt.
Unter der Treppe befand sich eine fensterlose, zweieinhalbmal drei Meter große Kabine mit Wänden aus Stahl, einer verstärkten Tür und einem elektronischen Schloss, das von innen betätigt wurde. Der Sicherheitsraum verfügte außerdem über eine eigene Telefonleitung, die unterirdisch zu einem Kasten an der Straße lief. Warren hatte genügend Konserven und Wasser und Kissen und Decken eingelagert, um während eines Hurrikans dort auszuharren. Grant und Beth hatten schon ein paar Mal im Sicherheitsraum »kampiert« – sie nannten ihn ihr Fort, den Ort, zu dem sie flüchten würden, sollten »böse Männer« in das Haus eindringen. Laurel hatte nicht im Traum daran gedacht, dass der böse Mann, vor dem sie sich eines Tages in Sicherheit würde bringen müssen, ihr eigener Mann war. Doch dieser Tag war gekommen.
Sie wusste, dass sie den Sicherheitsraum erreichen konnte, bevor Warren sie einholte. Er war so tief in den Dateien versunken, dass Laurel fast schon dort sein konnte, bevor er auch nur den Kopf
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