12 - Tod Bei Vollmond
unsere Vorfahren einst taten.«
Für den alten, sonst so wortkargen Heilkundigen war das eine lange Rede.
»Du und Bruder Dangila, ihr verfügt also über die gleichen Kenntnisse?«
»Unser Wissen ist ganz unterschiedlich, wo wir doch aus verschiedenen Ländern und Kulturen stammen.«
»Hast du Escrach geraten, sich an ihn zu wenden?«
Liag schwieg nachdenklich. »Escrach war eine vielversprechende Schülerin. Man darf sie nicht mit ihrem Onkel Brocc vergleichen. Ich habe ihr nicht geraten, sich an Dangila zu wenden, doch ich erwähnte ihr gegenüber ein paar wundersame Sachen, die er wußte. Sie ist von sich aus zu ihm gegangen. Ich habe gehofft, daß sie eines Tages auf eine dieser nichtchristlichen Schulen gehen und von …«
»Von Druiden unterrichtet werden würde?« warf Eadulf vorwurfsvoll ein.
Liag sah ihn spöttisch an. »Jemand, der meine Ansichten teilt, wird niemandem eine Schule des neuen Glaubens empfehlen, wo sich der Geist bei engstirnigen Lehren nicht frei entfalten kann. Escrach sollte sich in einer offeneren Welt entwickeln.«
»Aber sie hat sich mit Bruder Dangila nicht richtig unterhalten können.«
»Es überraschte mich schon, als sie mir erzählte, daß sie mit Bruder Dangila ein Gespräch gesucht hatte.«
Fidelma sah ihn an. »Also hat sie erst ihn getroffen und hinterher dich?«
»Habe ich das nicht gesagt?«
»Wann war das?«
»Mehrere Tage vor Vollmond, wenn du das wissen willst. Nein, Dangila hat sie nicht umgebracht. Sie sagte mir, daß sie spazieren war und Bruder Dangila gesehen hat. Also ist sie auf ihn zugegangen und hat versucht, von ihm etwas über die Eigenschaften des Mondes zu erfahren. Zum Beispiel wie der Mond die Bewegung der Meere beeinflußt, die Gezeiten an unseren Ufern bestimmt. Das wollte sie unbedingt wissen. Doch ihre Sprachkenntnisse reichten dazu nicht aus.«
»Und so kam sie einige Tage vor ihrem Tod zu dir und berichtete davon?«
»So war es. Ich versprach ihr, bald Bruder Dangila einzuladen, vor unserem kleinen Kreis seine Ansichten zu erklären. Ich hätte seinen Vortrag den anderen übersetzt.«
»War sie einverstanden?«
»Natürlich. Ein paar andere äußerten Einwände gegen die Einladung. Sie hatten vor ihm Angst.«
»Wer befand sich zu dieser Zeit gerade in deinem Kreis?«
»Ballgel, Escrach, Gabrán und Creoda. Ich glaube, ich habe einen Fehler gemacht, als ich die Macht des Wissens so sehr betonte. Daß unsere Bezeichnungen für den Mond und seine Erscheinungsform als Göttin und Beherrscherin unseres Schicksals uns gehörten und nicht Außenstehenden. Was ich damit sagen wollte, war, daß die Macht, die Namen auszusprechen und direkt mit der Macht in Verbindung zu treten, den Eingeweihten aller Völker gehören sollte. Sie hatten mich aber so verstanden, daß das nur den Cinél na Áeda vorbehalten sein sollte. Deshalb lehnten sie es ab, daß Bruder Dangila mit unserer Gruppe Kontakt aufnahm.«
»Accobrán hat doch auch zu deiner Gruppe gehört, nicht wahr? Du hast ihn aber nicht erwähnt. Was meinte er denn dazu?« fragte Fidelma.
»Accobrán war …«
Da ertönte auf einmal der lange, klagende Ton eines Horns. Er wiederholte sich, nun wirkte er noch dringlicher. Fidelma hob verwundert den Kopf.
»Das kam von Rath Raithlen her«, murmelte Eadulf besorgt und blickte zu dem Hügel, der von Bäumen fast verdeckt war. »Was hat das zu bedeuten?«
»Das ist ein Alarmsignal«, erklärte der alte Liag, stand ruhig auf und holte seine Angel ein. »Das habe ich schon viele Jahre nicht mehr gehört. Gewöhnlich bläst man auf diese Weise ins Horn, wenn das Gebiet von Feinden angegriffen wird und sich die Leute in der Festung versammeln sollen.«
Eadulf sprang auf die Beine. »Die Uí Fidgente. Darauf wette ich einen screpall. «
Liag wandte sich mit verbittertem Gesicht zu ihm hin. »Ich fürchte, du wirst niemanden finden, der mit dir wettet. Nach dem gestrigen Angriff könnte das nun die Rache für Accobráns übertriebene Brutalität sein.«
Fidelma und Eadulf stiegen bereits auf die Pferde.
»Wir werden zur Festung zurückreiten. Für manch einen könnte ein Angriff der Uí Fidgente eine günstige Gelegenheit sein, selber böse Machenschaften voranzutreiben«, erklärte sie dem alten Heilkundigen.
»Wollen wir hoffen, daß sich das nicht bewahrheitet«, erwiderte er, als sie fortritten.
K APITEL 16
»Unsere Späher berichten, daß ein sluaghadh der Uí Fidgente an unserer Grenze sein Lager aufgeschlagen hat«, erklärte Becc,
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