12 - Tod Bei Vollmond
erwähnte das verkrustete Blut und daß die Leiche schon leicht verwest war, daß sie also bereits zwei, drei Tage im Wald gelegen haben mußte.« Als ihm bewußt wurde, was er da gesagt hatte, weiteten sich seine Augen.
Fidelma blickte in die Halle hinein. »Zwei oder drei Tage! Das haben alle übersehen. Man fand die Leiche zwar erst am Morgen nach der Vollmondnacht, aber Beccnat war zwei oder drei Tage zuvor getötet worden.« Nun wandte sie sich an Bébháil. »Lesren hat mir gesagt, und du hast es bestätigt, daß Beccnat eines Nachts losging, um Gabrán mitzuteilen, daß sie das Verlöbnis lösen wollte. Da habt ihr sie zum letztenmal gesehen. Erst drei Tage später hätte man ihre Leiche gefunden.«
»Das stimmt. Ich hatte nicht geglaubt …«, sagte Bébháil entsetzt.
»Wo hat sie denn deiner Meinung nach all die Tage gesteckt?«
»Nach Streitereien mit ihrem Vater ist sie häufig verschwunden. Wir dachten, sie wäre bei einer Freundin. Ich weiß es nicht. Alle haben gesagt, der Mord geschah in der Vollmondnacht. Daran haben wir nicht gezweifelt. Wir haben uns auch nicht gefragt, wo sie die Tage zuvor verbracht haben mochte, schließlich war sie ja tot.«
Fidelma schaute nun wieder zu Fínmed hinüber, die vollkommen fassungslos dasaß. Dann blickte sie Goll an.
»Bei unserem ersten Gespräch fragte ich Gabrán in deinem Beisein, wann er Beccnat das letztemal gesehen hatte, und er gab eine ehrliche Antwort, was selten vorkommt. Er sagte, daß er sie zwei Tage vor Vollmond getroffen hätte.«
Goll stand nun mit zusammengesunkenen Schultern da, er wirkte müde und erschöpft, ihm war die Wahrheit bewußt geworden. Fínmed schluchzte wieder leise.
»Bestätige mir nur noch eine Sache, die du mir erzählt hast, Goll«, sagte Fidelma freundlich. »War es deine oder Gabráns Idee, am Tag vor dem Vollmond nach dem Lughnasa-Fest zum Kloster Molaga zu fahren?«
Goll wandte ihr sein gequältes Gesicht zu. »Du kennst die Antwort genau, Schwester. Er hat vorgeschlagen, an diesem Tag den Transport zu machen.«
Fidelma blickte zu Gabrán hinüber, der nach wie vor festgehalten werden mußte.
»Ein Mörder vom Vollmond beeinflußt?« sagte sie nachdenklich. »Nicht im Falle Beccnats. Dieser Mord war kaltblütig geplant. Nachdem Gabrán Beccnat ermordet hatte, machte er sich nach Molaga auf den Weg, um sich ein Alibi zu verschaffen. Er setzte die Geschichte von dem mondkranken Mörder in Umlauf, denn Adag berichtete uns, daß er das dem Brehon gegenüber besonders betont hatte, als man ihn wegen Lesrens Schuldvorwürfen befragte. Erst später, bei dem zweiten Verbrechen, erklärte Liag allen, daß der Mord in einer Vollmondnacht stattgefunden hatte.«
Gabrán betrachtete sie ohne Regung. Er lächelte sogar.
»Ich räche mich, und ich habe Macht. Wissen ist Macht, und ich habe diese Macht.« Er sprach die Worte wie ein Priester, dann begann er hysterisch zu lachen. Auf ein Zeichen von Becc wurde er abgeführt.
E PILOG
Ein kleiner Schwarm Steindohlen kreiste in der Luft über den Bergspitzen mit einem aufgeregten: »Krah … krah … krah!« Die Meister der Lüfte flogen hoch droben, als seien sie ein Ganzes, dann schwangen sie sich hinab und tauchten bis zum Erdboden hinunter, wobei sie Bögen und Kreise zogen, von denen Fidelma und Eadulf wie verzaubert waren, als sie den Sattel des Cnoc Mhaoldhomhnigh passierten und in die Ebene hinabritten.
»Sie sind weit ins Inland gekommen«, bemerkte Fidelma und zeigte auf die Vögel, die man leicht an ihrem glänzenden rötlichschwarzen Federkleid, den rotumrandeten Schnäbeln und den roten Füßen erkennen konnte.
Diese Dohlen, cosdhearg genannt, waren eigentlich Küstenvögel, die auf den Meeresklippen nisteten, doch manchmal traf man auch in den Bergen unweit der See auf sie. Eadulf waren sie eher gleichgültig. Er blickte auf die Berghänge, über die sie geritten waren. Vor ihnen erstreckten sich die Tiefebenen. Im hellen Oktoberlicht konnte er das breite, funkelnde Band des Flusses Siúr ausmachen, des Schwesterflusses, wie er genannt wurde. Er vermochte sogar zu erkennen, wo sich der Fluß mit dem Tar vereinte und sich ostwärts weiterwand, bis er schließlich ins Meer mündete. Von hier war es nicht mehr weit nach Cashel.
»Meinst du wirklich, daß Gabrán nicht voll zurechnungsfähig ist?«
»Gott sei Dank muß ich das nicht beurteilen«, erwiderte Fidelma. »Man hat ihn ins Kloster Molaga geschickt, wo es ausgebildete Ärzte gibt, die feststellen
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