1224 - Das Herz der Hexe
anderen Ausweg, doch nach wie vor stellte Xenia für sie ein Rätsel dar. Ihr Aussehen, ihre Haut, das Gesicht, das zusammengedrückt wirkte, das alles erinnerte sie schon an etwas Fremdes, das es auf dieser Welt nicht sehr oft gab. Es fiel ihr eigentlich erst jetzt richtig auf, wie klein Xenia war.
»Und wer bist du?«, fragte Amy.
Xenia lächelte hintergründig. »Das siehst du doch…«
»Ja, ich sehe es. Aber ich kann es nicht glauben. Es muss mehr hinter dir stecken. Ich meine, dass du eine Maske trägst. Du gibst dich nach außen hin wie ein Mensch, aber das bist du nicht. Das kannst du einfach nicht sein…«
»Menschen gab es schon lange.«
»Das weiß ich. Aber…«
»Ich bin jung, nicht wahr?« Xenia legte ihren Kopf zurück, stellte sich breitbeinig hin und starrte Amy direkt an.
Sie dachte über die Frage nach. Sie wollte eine Antwort für sich selbst finden, nur befand sich etwas in ihrem Gehirn, das ihr überhaupt nicht passte. Da war einiges durcheinander geraten. Sie hörte wieder die fremde Stimme, und diesmal klang sie böse, kalt und so widerlich. Aber auch wissend.
»Ich bin jung, ich bin alt, ich bin beides, aber ich bin nicht die, für die du mich hältst…«
Was das bedeutete, erfuhr Amy in den folgenden Sekunden, und sie wusste nicht, ob sie Angst haben oder einfach nur staunen sollte…
***
Man erkennt einen Markt nicht nur an seinen Ständen und Buden, sondern auch an seinem bunten und fröhlichen Treiben.
Das jedenfalls war bisher immer meine Ansicht gewesen, die ich auf diesem Kräutermarkt allerdings revidieren musste, denn auf ihm entdeckte ich nicht die geringste Spur von Fröhlichkeit, obwohl sich zahlreiche Besucher eingefunden hatten, die die ausgestellten Waren begutachteten, mal prüfend in die Hand nahmen, hin und wieder kauften oder wegstellten.
Lag es an den Menschen oder an der schwülen Witterung, die wie eine Bleilast über diesem Teil der Welt lag? Man hatte das Gefühl, durch eine stehende Luft zu gehen, die sich allmählich noch zu einer Wand verdichtete.
Die Luft roch alt, faulig und manchmal nach Grab, was allerdings auch an der Schwüle und dem nahen Fluss liegen konnte und nicht daran, dass sich irgendwelche Ghouls oder Zombies in der Nähe herumtrieben.
Schon nach einem ersten Rundgang war für uns klar ersichtlich, welche Besucher hier in der Überzahl waren. Die Frauen, denn sie interessierten sich für die Waren mehr als die wenigen Männer, für die jedoch ebenfalls gesorgt worden war, denn auf dem Gelände gab es zwei Bierstände, die recht gut besucht waren.
Wir hatten das Gefühl, die Einzigen zu sein, die sich normal bewegten. Die anderen Besucher nicht. Sie gingen langsam, sie sprachen auch nicht schnell. Sie bewegten sich wie Menschen, die unter einem Zwang litten und nicht mehr über ihre eigenen Sinne herrschten.
»Da stimmt doch was nicht«, sagte Suko, als er stehen blieb und sich dann auf eine Bank setzte, die aus dicken Stammteilen einer Buche hergestellt worden war.
Auch ich nahm Platz. Es war eine strategisch günstige Stelle, denn von hier hatten wir einen guten Überblick. Die meisten Stände waren überdacht. Nur die kleineren verzichteten auf einen Schutz. Es gab tatsächlich Kräuter zu kaufen, aber auch irgendwelche Tinkturen, Naturheilmittel und sogar Lebensmittel.
Man konnte Töpfe kaufen, Pfannen, Geschirr, Bestecke aus Holz und Metall, aber auch Kleidung wie Schürzen, Blusen, Hosen und Pullover.
»He, John, ich warte auf deine Antwort.«
Ich zuckte nur mit den Schultern.
»Ist das alles?«
»Im Moment schon. Ich habe auch weniger auf die Atmosphäre geachtet und mehr auf die Menschen, die hier herumlaufen. Eine Amy Madson habe ich nicht ge sehen.«
»Vielleicht ist sie dir nicht gut genug beschrieben worden.«
»Kann auch sein. Oder sie hat ihr Äußeres verändert.«
Ich sagte nichts mehr, denn ich hatte meinen Kopf nach links gedreht. Dort fiel mir eine Frau auf, die sich unnatürlich bewegte. Sie ging, aber sie ging so, dass ich am liebsten aufgestanden wäre und sie gestützt hätte.
Die Frau hatte ein schmales Gesicht, rötlich blonde, sehr glatte Haare, die unterschiedlich lang geschnitten waren. Sie trug eine Hose, wie sie auch Bäcker anhatten. Als Oberteil hatte sie sich für einen schwarzen Kittel entschieden, der bis zu ihren Hüften reichte. Er schien zu groß zu sein, denn er beulte sich aus.
Es war nicht ihr Outfit, das mich stutzig gemacht hatte, mehr der Ausdruck des Gesichts.
Er war glatt.
Im
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