1250 - Absalom
Seitenportal der Kirche zu.
Ich hörte mehrere Sprachen und erlebte an dieser Stelle Europa pur, was mir gut gefiel.
In einem immer gleichen Rhythmus ging es weiter, und dann war ich an der Reihe, um in die Kirche einzutauchen, die mich mit einer gewissen Düsternis empfing.
Schon beim ersten Schritt hatte ich den Eindruck, die andere Welt hinter mir zu lassen. Trotz der relativ vielen Menschen war es verhältnismäßig still. Man unterhielt sich nur flüsternd. Eine etwas düstere Decke schwebte wie ein dunkler Himmel über allem, als wäre er nur geschaffen worden, um den Menschen zu einer nötigen Ehrfurcht zu verhelfen.
Das war nicht nötig, denn die Besucher wussten selbst, wie sie sich zu verhalten hatten.
Jeder Eintretende musste sich nach links wenden. Der Weg konnte nicht verfehlt werden, da er mit Seilen markiert war. Eine kleine Kasse begrenzte ihn. Hinter ihr hockte ein Mann, der seine Fragen routiniert stellte, bevor er die Karten verkaufte. Ein zweiter, jüngerer Typ schaute zu, dass die Besucher auch die Regeln einhielten und erst in Richtung Kasse gingen, bevor sie durch die Kirche gehen konnten. Es gab auf der Welt eben nichts umsonst. Nicht mal den Tod, denn er kostete noch das Leben.
Nicht alle wollten eine Führung zum Altarbild haben. Besonders nicht die Familien mit den Kindern. Sie entschieden sich für einen Gang durch die Kirche, in der es genug zu bestaunen gab.
Ich wollte mich einer Gruppe anschließen. Dabei hatte ich Glück, denn die nächste Führung begann in knapp zehn Minuten, wie ich an einem Schild ablesen konnte.
Vor mir schoben sich zwei dicke Frauen weiter, die sich auf Deutsch unterhielten. Sie sprachen davon, wo sie nach der Führung Essen gehen wollten und entschieden sich schließlich für ein Lokal, in dem es angeblich die besten Spare Ribs gab.
Sie kauften zwei Karten, danach war ich an der Reihe. Ich erwarb eine und bekam einen knappen Blick des Verkäufers gratis dazu. Er hielt mich wohl für vertrauenswürdig und so konnte ich passieren. Ich gesellte mich zu den Menschen, die auf den Beginn der Führung warteten.
In dieser Kirche herrschte schon eine besondere Atmosphäre. Es lag an der Höhe und auch daran, dass sie verhältnismäßig schmal war, aber auch düster. Die Bilder und Figuren kristallisierten sich erst beim näheren Hinsehen hervor. Manche waren überhaupt nicht zu sehen, weil sie sich in Nischen versteckten.
Ich war nicht der Einzige, der sich umschaute. Der berühmte Altar war nicht zu sehen. Er lag in einer Krypta oder einem Keller der Kirche. Um ihn zu erreichen, mussten wir über eine Treppe gehen.
Es war kühl, es war feucht. Es roch nach Weihwasser, aber auch nach Papier, denn hinter mir standen schräge Regale an der Wand, in der allerlei Zeitschriften lagen, die ein christliches Weltbild vermittelten. Es gab auch Bücher, die sich mit der Historie der Kirche beschäftigten. Die obligatorische Spendenbox fehlte ebenfalls nicht.
Allmählich sammelten sich die Menschen, die sich für eine Führung interessierten. Mit mir zusammen zählte ich 18 Personen. Die Frauen waren in der Überzahl.
Man unterhielt sich flüsternd, und die deutsche Sprache dominierte. Ich war gespannt, wie uns der Führer oder die Führerin ansprechen würde. Mir war es egal, denn ich verstand Deutsch.
Dann kam sie!
Ich sah sofort, dass es eine Führerin war. Das Verhalten der Frau ließ darauf schließen, dass sie sich hier, zu Hause fühlte.
Im schummrigen Licht war sie zwar nicht perfekt zu erkennen, doch ich stellte schon fest, dass es sich um eine jüngere Person handelte. Eine Frau um die 30 mit braunen Haaren. Halblang geschnitten, bei jedem Schrittwippend.
Sie stellte sich zu uns und fragte zunächst, in welch einer Sprache sie die Führung durchziehen sollte. Man entschied sich für die deutsche Sprache.
Sie wollte noch wissen, ob auch Engländer in der Gruppe waren. Ich hob meinen Arm nicht, denn ich verstand die deutsche Sprache ebenso gut. Die junge Frau, die eine dreiviertellange gefütterte Jacke, Hose, Pullover und Schuhe mit flachen Absätzen trug, war zufrieden. Sie fasste den Riemen ihrer Umhängetasche, die auch als Rucksack benutzt werden konnte, fester und stellte sich vor.
»Ich heiße Julie Ritter und habe das Vergnügen, Sie in der nächsten Stunde als Gäste zu haben. Eines vorweg. Jeder von Ihnen wird von dem berühmten Genter Altar gehört haben, und ich weiß nicht, ob Sie ihn bereits als Ganzes auf irgendwelchen Abbildungen gesehen
Weitere Kostenlose Bücher