1262 - Die Sauger
betreten.
Ich hatte vor einem der Tore angehalten, das zwar verschlossen war, aber schief in den Angeln hing, sodass ich schon beim ersten Blick den Durchschlupf sah, der breit genug war, um uns auf das Gelände zu lassen.
Wir stiegen beide noch nicht aus. Jeder von uns wollte das Gelände auf sich wirken lassen.
Jamiel sah, dass ich nickte.
»Was sagst du dazu?«
»Imponierend. Abstoßend. Der faule Zahn der Geldhaie und zugleich eine Ruine, von der man nur hoffen kann, dass sie nicht zu lange so bleibt wie jetzt.«
»Das stimmt.«
»Und sicherlich das perfekte Versteck für die Blutsauger. Denn zwischen diesen Wänden haben sie auch tagsüber genügend Schutz vor der Helligkeit.«
»Du sagst es. Es ist nur das Problem, dass wir sie aus ihren Deckungen locken müssen.«
Ich verzog die Lippen. »Ist das wirklich ein Problem mit dir als Lockvogel?«
Jamiel überlegte einen Moment. »Ich weiß nicht, ob ich mich als solchen bezeichnen kann.«
»Warum nicht?«
»Es wird sich herumgesprochen haben, dass ich nicht so leicht zu besiegen bin wie meine Freunde. Deshalb werden sie sehr vorsichtig zu Werke gehen.«
»Super«, erwiderte ich. »Dem kann abgeholfen werden. Du brauchst mir nur mein Kreuz zurückzugeben.«
Er schaute mich mit beinahe schon menschlichen Augen an, die er nun wirklich nicht hatte, so erstaunt war er, und ich musste sogar lachen. »Es war nur ein Spaß.«
»Das habe ich auch gehofft.«
»So, und hier sollen wir auf das Gelände gehen.«
»Ja, das Tor enthält eine Lücke.«
Das hatte ich auch schon gesehen. Ich verließ den Rover als Erster und erkannte, dass sich außer uns niemand für die Baustelle interessierte. Wir waren allein auf weiter Flur. Wohin wir auch schauten, es gab kein zweites Fahrzeug, das hier abgestellt war.
Nicht mal Lastwagen sahen wir, die den Schutt abtransportierten. Sie alle waren zurückgeholt worden.
Allerdings glaubte ich nicht, dass diese Bauruine ohne Leben war. So etwas zieht immer wieder Menschen an, die keine Bleibe haben. Besonders im Winter hatten die Berber sicherlich in manch einem der noch geschlossenen Bauten übernachten können.
An jeder Baustelle stehen große Schilder. Auf ihnen ist dann das Bauvorhaben aufgeführt. Oft gab es Zeichnungen. Jedenfalls waren die Namen der Bauherren und der beteiligten Firmen aufgeführt.
Das war auch hier der Fall, aber an dem Schild hatten einige Protestler ihre Wut ausgelassen und es mit Farbe und Dreck beschmiert.
Hinter dem Eingang war der Boden ziemlich malträtiert worden. Es hatte hier mal Pflaster gegeben, aber das war verschwunden. Man hatte die Steine entfernt, und auf dem zurückgebliebenen Lehmboden hatten sich die Reifenabdrücke der schweren Transporter tief eingegraben.
Jamiel war vorgegangen. Ich schaute auf seinen nackten Rücken und blickte auch gegen das Haar am Hinterkopf, das jetzt etwas dunkler wirkte. Er war größer als ich. Er wirkte so gesehen wie ein Mutation aus einem SF-Film, und trotzdem bewegte er sich mit der Geschmeidigkeit eines Tänzers.
Ich ließ ihn gehen und blieb noch etwas im Schutz des Rovers zurück. Bisher war ich mit Jamiel allein gewesen, das aber wollte ich ändern, denn Suko musste Bescheid wissen. Ich holte mein Handy hervor und rief ihn zu Hause an.
Shao kam an den Apparat. Als sie meine Stimme hörte, erschrak sie regelrecht. »John, bitte, wo steckst du? Wir suchen dich.«
»Keine Sorge, mir geht es gut. Ich halte mich auch in London auf. Kein Problem, aber ich würde gern Suko sprechen, wenn es möglich ist.«
»Kannst du. Er wollte nämlich zu dir rübergehen, als du dich nicht gemeldet hast. Er ist noch an der Wohnungstür. Warte einen Moment.«
»Danke.«
Es dauerte nicht lange, da hörte ich Sukos Stimme. Freundlich klang sie nicht eben. »He, wo treibst du dich herum, Alter?«
»Keine Panik. Ich bin eben früher aufgestanden.«
»Und dann?«
»War ich im Krankenhaus.«
Suko verschlug es die Sprache, und deshalb redete ich schnell weiter. Ich machte ihm klar, wo er mich finden konnte und berichtete auch von den Vorgängen, die ich erlebt hatte.
»Warum hast du mir nichts gesagt?«
»Es ging alles so schnell. Außerdem habe ich nicht ahnen können, wie sich die Dinge entwickeln.«
»Ja, das stimmt wohl.«
»Aber jetzt brauche ich dich. Ich weiß nicht wie viele dieser verdammten Sauger sich hier auf dem Gelände versteckt halten. Von der Größe her kann sich eine halbe Kompanie dort verbergen. Ich nehme an, dass du uns finden
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