1262 - Die Sauger
machen. Nicht in die Falle laufen, den Strahl dabei nach vorn gerichtet, auf das Gesicht meines Partners.
Es war im Licht der Lampe gut zu sehen, und ich sah deutlich, dass es sich nicht verändert hatte. Es zeigte keine Anzeichen von Angst, von Schmerz oder einem ähnlichen Gefühl. Es blieb so glatt wie immer, und die Augen standen auch weit offen.
Der Mund blieb geschlossen. Er gab mir keine Nachricht. Ich rechnete bei einem Wesen wie er es war sogar damit, dass selbst der Kopf ohne Körper sprechen konnte.
Aber besaß er tatsächlich keinen Körper mehr? Je näher ich an das Ziel herankam, umso größer wurden meine Zweifel, denn ich sah auch einen Teil seines Halses. Das wies nicht darauf hin, dass ihm der Kopf abgeschlagen worden war. Meiner Ansicht nach musste da etwas anderes passiert sein. Er war möglicherweise in einen Schacht gefallen und klemmte jetzt dort fest.
Je länger ich darüber nachdachte, umso wahrscheinlicher kam mir diese Lösung vor. Schließlich brauchte ich nur noch zwei Schritte zu gehen, um den Kopf zu erreichen. Jetzt erkannte ich im Gesicht auch eine Regung, aber sie beschränkte sich auf die Augen, denn der Mund des Engels blieb verschlossen.
Jamiel verdrehte beide Augen. Ich ließ den Lichtkreis nicht von seinem Gesicht, da ich die Geste begriffen hatte. Er war dabei, mir irgendetwas mitzuteilen.
»Was ist denn?«
Abermals drehte er die Augen. Er besaß nur schwach ausgeprägte Pupillen, und trotzdem bekam ich mit, was diese Bewegung zu bedeuten hatte. Sie wies nach oben.
Etwa zur Decke?
Bevor ich mich hinkniete, schaute ich in die Höhe. Darauf hatten die beiden Sauger nur gewartet. So eng wie möglich hatten sie sich gegen die Decke gepresst und waren damit verschmolzen.
Jetzt nicht mehr.
Zugleich ließen sie sich fallen, um sich auf die neue Beute zu stürzen…
***
»Ich habe ein verdammt ungutes Gefühl«, hatte Shao gesagt, »deshalb sei auf der Hut.«
Suko war da weniger pessimistisch gewesen. »Keine Sorge, es wird schon klappen. John hat nichts von einer Gefahr erwähnt.«
»Das kann sich schnell ändern.«
Die Worte waren nicht ohne Nachhall geblieben, denn als Suko das Ziel erreichte und aus dem BMW stieg, den er neben dem Rover abgestellt hatte, meldete sich sein sechster Sinn.
Er fand die Ruhe direkt an der eingezäunten Großbaustelle einfach trügerisch. Es war ein totes Gebiet. Wie ein riesiger Körper, in dessen Wunden man noch Säure gekippt hatte, um sie schlimmer werden zu lassen. Was man sich hier geleistet hatte, darüber konnte Suko nur den Kopf schütteln. Es war der Preis der Gier, der hier die Landschaft verschandelte. Das Alte sollte vernichtet werden, das Neue sollte in die Höhe schießen, aber das eine war nicht richtig gelungen und das andere auch nicht. Trümmer, Ruinen, noch alte Bauten, die die Abrissbirne nicht erwischt hatte, aber Neubauten waren nicht zu sehen. Die Investoren hatten sich schlicht und einfach verspekuliert.
Darüber konnte Suko nicht lächeln. Er empfand es einfach nur als traurig, aber es war nicht seine Sache. Er musste seine Gedanken darauf konzentrieren, dass diese Gegend so etwas wie ein ideales Versteck für Blutsauger war, denn er ging davon aus, dass es jede Menge Verstecke in den Tiefen irgendwelcher alter Keller gab.
Die breite Zauntür sah aus, als wäre sie geschlossen. Sie war es nicht, denn beim genauen Hinschauen entdeckte Suko die Lücke. Den Weg musste auch sein Freund John Sinclair gegangen sein, aber von ihm war nichts zu sehen, wie der Inspektor schon längst festgestellt hatte.
Er zwängte sich durch die Lücke. Seine Sinne waren voll und ganz auf Gefahr eingestellt. Über seinen Rücken glitt ein leichtes Kribbeln hinweg. Er achtete auf alles, was sich in seinem Sichtbereich tat, aber da gab es nichts. Auf dem Platz blieb die Ruhe bestehen. Er hörte keine Stimmen, und auch der Wind hielt sich zurück. So lag das Gelände weiterhin still vor Suko. Der übliche Verkehrslärm der Stadt schien meilenweit entfernt zu sein.
Das trübe gewordene Wetter passte sich Sukos Stimmung an, als er langsam und tiefer in das Gelände hineinschritt und auf irgendwelche Hinweise lauerte, die ihn seinem Ziel näher gebracht hätten. Er hatte Pech. John hatte kein Zeichen hinterlassen. Er sah weder ihn, noch Jamiel, den ungewöhnlichen Engel.
Wo sollte er mit der Suche anfangen? Er wusste es nicht. Hier stand ihm jedes Haus zur Verfügung, ob erhalten oder halb eingestürzt, denn Verstecke gab es überall auf
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