1266 - Schleichende Angst
Wohnraum.
In der Nähe des Fensters stand das Bett, auf das sein Blick automatisch fiel.
Das Bett war nicht leer.
Auf ihm lag die verbrannte Leiche aus dem Wald!
***
Stan Shaw glaubte zu schreien, aber er schrie nicht. Er hatte die linke Hand gegen seine Lippen gepresst und hielt einen Teil des Gesichts verdeckt. Der obere war noch zu sehen, und dort fielen eigentlich nur die vor Schock weit aufgerissenen Augen auf, mit denen der junge Biologe zwar auf das Bett sah, aber gleichzeitig auch ins Leere starrte.
Der Anblick war ungeheuerlich. Grauenhaft. Wie aus einem Horrorfilm. Das schreckliche Bild war keine Halluzination, er sah die Tote in all ihrer Scheußlichkeit auf seinem Bett liegen. Die verbrannte und somit verfärbte Haut, der Mund, der wie im Krampf offen stand, und er sah auch das Weiße in ihren Augen.
Stan Shaw begann zu zittern, als der Schock ein wenig nachließ. Die Hand rutschte wieder ab und klatschte schließlich gegen seinen rechten Oberschenkel. Das Gesicht glühte. Er konnte nicht mehr denken und nur auf die Leiche schauen.
Die Hitze des Feuers hatte die Gestalt ausgedörrt und auch kleiner werden lassen. Sie besaß nicht die Größe einer Mumie, aber auch nicht ihre normale. Hässlich, abstoßend. Dass sie mal ein lebendiger Mensch gewesen war, konnte er sich immer weniger vorstellen. Noch immer rann es ihm kalt den Rücken hinab, und er merkte, wie sein Herz schwer und heftig schlug.
Die Tote roch noch!
Sie allein sonderte den Gestank nach kaltem Rauch ab, der sie wie eine unsichtbare Fahne umwehte.
Er schaute auf die Hände. Sie waren ausgestreckt, ebenso wie die beiden Arme, die rechts und links des Körpers lagen und aussahen wie zwei angekohlte Stöcke. Es gab keinen Fetzen der Haut, der nicht verbrannt war. Er schüttelte sich unter dem Eindruck dieses Bildes, und er spürte in seinem Innern den ungeheuren Druck, der sich immer mehr aufblies, als wollte er seinen Körper gleich zum Platzen bringen.
Sein Verstand reichte einfach nicht aus, um das alles zu begreifen. Er schaute hin, aber er wünschte sich weit weg, und trotzdem trat er näher an das Bett heran.
Bis zu diesem Augenblick hatte er kein einziges Mal geschrieen, und das blieb auch so. Er wunderte sich selbst darüber, wie beherrscht er war, und reagierte völlig normal und trotzdem absurd. Er ging zum Fenster und stellte es hoch. Dabei hatte er den Eindruck, dass nicht er dies durchführte, sondern ein anderer.
Seine Augen brannten, was nicht am kalten Rauch lag, sondern an dem ungeheuren Druck, den er verspürte. Er fand sich nicht mehr zurecht und bewegte sich wie ein Fremder.
Das Fenster ließ er geöffnet, und bei der nächsten Drehung kehrte so etwas wie Normalität zurück.
Er fing wieder an, normal zu denken und wusste jetzt, dass die Leiche aus seiner Wohnung weggeschafft werden musste. Nicht von ihm. Jetzt war er froh, dass sich der Inspektor noch mal auf den Weg nach Oxbow gemacht hatte.
Der Gedanke war da, und er wollte ihn sofort in die Tat umsetzen. Weg aus der Wohnung, nur keine Sekunde länger bleiben, sich nicht mehr dem Grauen aussetzen.
Er wollte starten, als er das Geräusch hörte. Nicht im Schlafraum, sondern hinter der schmalen Tür, die in sein winziges Bad mit der Toilette führte.
Stanley Shaw ging noch nicht. Leicht geduckt blieb er stehen und dachte über das verdammte Geräusch nach. Es war ihm nicht gelungen, es zu identifizieren, er wollte auch nicht näher darüber nachdenken, wer sich da versteckt halten konnte.
Die Tür flog auf!
Stanley schrie vor Schreck auf!
Noch in der gleichen Sekunde sah er die beiden Frauen, die das Bad verließen.
Es waren die aus dem Café!
***
Jetzt begriff er gar nichts mehr. Er konnte nur stöhnen, schloss wieder die Augen, und als er sie öffnete, da standen die beiden noch immer dort.
Von der Größe her waren sie gleich. Beide trugen Jacken, die aus einem grünen wetterfesten Stoff bestanden und ihnen bis zu den Kniekehlen reichten. Die eine war blond, die andere schwarz. Beide mussten um die 30 sein. Und beide hatten ihre langen Haare glatt zu den Seiten hin gekämmt, wie Menschen, die auf eine ordentliche Frisur keinen Wert legten. Ungeschminkte Durchschnittsgesichter, wobei die Dunkelhaarige noch sehr dichte Augenbrauen besaß und über ihrer Oberlippe ein Damenbart wuchs.
Beide schauten ihn an. Beide lächelten. Allerdings auf eine Weise, die ihm nicht gefiel.
»He, Stanley…«
Er gab keine Antwort und war nicht mal überrascht, dass
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