128 - Sohn der Ratten
Ich merkte ihm an, daß er liebend gern auf den Rattenmenschen losgegangen wäre.
„Erzähl endlich!" fuhr ich Trigemus an.
„Es ist schon lange her", berichtete Trigemus, der noch immer Olivaro haßerfüllt anblickte. „Ich gelangte auf diese Welt, kurz bevor du zur Erde gesandt wurdest. Die Janusköpfe waren schwach und eine leichte Beute für mich und meine Artgenossen. Wir töteten sie, wo wir sie nur finden konnten. Die Große Mutter war besorgt. Das Chaos wurde immer größer. Es gab immer mehr entartete Janusköpfe, die der Großen Mutter ein Dorn im Auge waren - wenn ich das so sagen darf. Daher erschuf sie einen besonderen Januskopf, quasi einen Superjanuskopf, der alle entarteten Janusköpfe töten sollte."
Olivaro ballte die Hände zu Fäusten. Ich merkte, daß er heftiger atmete.
„Den Schädel dieses gehörnten Januskopfes hast du vor dir, Olivaro. Ich tötete ihn. Den Kopf behielt ich bei mir. Der Schädel hat mir gute Dienste geleistet."
Olivaro stieß mich zur Seite und rannte auf Trigemus zu. „Dafür stirbst du jetzt, du Ratte! Ich werde den Tod des Gehörnten, der mein Bruder war, rächen."
Trigemus sprang einen Schritt zur Seite und schleuderte Olivaro den gehörnten Totenschädel entgegen.
Olivaro blieb stehen und hob beide Arme.
Der Schädel des Superjanuskopfes schwebte langsam auf ihn zu.
Ich überlegte, ob ich den Ys-Spiegel einsetzen sollte, kam aber nicht mehr dazu, da alles so blitzschnell ging.
Olivaro griff mit beiden Händen zu. Er packte den Totenschädel - fast zärtlich, wie es mir schien - und hob ihn hoch.
Trigemus heulte vor Wut auf, da der Schädel Olivaro nicht angriff.
Olivaro strich mit einer Hand sanft über den Schädel. Die Luft schien einen Augenblick zu flimmern, dann löste sich der Totenschädel einfach auf.
„Der Gehörnte ist endgültig in die Große Mutter eingegangen", sagte Olivaro und blickte Trigemus an. „Und jetzt werde ich dich erwürgen, Rattenpsycho."
Die Selbstsicherheit des Rattenmenschen war wie davongeblasen. Jetzt zitterte er am ganzen Leib.
Olivaro schritt auf ihn zu, streckte die Hände aus und verkrallte sie in Trigemus' Schultern.
„Laß ihn los, Olivaro!" sagte ich scharf.
„Ich denke nicht daran", schrie Olivaro. „Ich werde diese Ratte töten."
„Das wirst du nicht", sagte ich und kam näher. „Wir haben Trigemus als Geisel genommen, Olivaro. Und ich stehe zu meinem Wort. Die Rattenmenschen haben uns nicht mehr angegriffen."
Der Rattenmensch bewegte sich nicht. Seine Barthaare waren gesträubt, und er blickte Olivaro ängstlich an.
Schließlich ließ ihn Olivaro los. Ich merkte, wie schwer Olivaro sein Entschluß gefallen war. Trigemus zitterte noch immer am ganzen Leib.
„Freu dich nicht zu früh, du Ratte!" knurrte Olivaro. „Ich werde dich töten. Das verspreche ich dir. Und ohne den Schädel des Gehörnten bist du ziemlich hilflos. Du überschätzt deine Fähigkeiten ganz gewaltig."
Der Rattenmensch antwortete nicht. Er blickte mich einen Augenblick an, wandte dann aber rasch den Kopf ab.
Irgendwie mußte ich Trigemus dankbar sein. Ohne den Totenschädel wäre der Angriff der Janusköpfe vielleicht erfolgreich verlaufen. Nur der Einsatz des Totenschädels hatte sie so abgelenkt, daß ich den Ys-Spiegel hatte einsetzen können.
„Wie weit ist es noch bis zur Großen Mutter?" fragte ich.
„Wir werden bald bei ihr sein", antwortete Olivaro, der sich noch immer nicht beruhigt hatte.
Wir gingen an den toten Janusköpfen vorbei. Der Weg wurde mit jedem Schritt beschwerlicher. Der Berg der Berge änderte langsam die Farbe. Jetzt war er rostbraun. Der Gipfel war von türkisfarbenen Nebelschwaden verhüllt.
Unsere Füße sanken bei jedem Schritt knöcheltief in den nachgiebigen Boden ein und verursachten quatschende Geräusche. Es war im Augenblick unnatürlich still.
Der Weg wurde immer steiler. Keuchend stapften wir vorwärts. Trigemus ging vor mir. Ich merkte, daß der Rattenmensch immer unruhiger wurde.
Coco kletterte neben mir den Berg hoch. Sie war eine bewundernswerte Frau. Ohne zu klagen, hatte sie die unmenschlichen Strapazen der vergangenen Tage auf sich genommen. Es war ihr deutlich anzumerken, wie erschöpft sie war. Ihr Gesicht war sichtlich eingefallen und ihr Blick stumpf. Und wie so oft in den vergangenen Tagen ärgerte ich mich darüber, daß ich auf ihren Wunsch eingegangen war und sie zur Januswelt mitgenommen hatte. Hier konnte sie Olivaro und mir nur wenig helfen, da die irdische Magie
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