1304 - Die Voodoo-Gräfin
Helen sorgte auch dafür, dass sie ihn nicht zu sehr bewegte.
Wenn möglich, ließ sie ihn ruhig liegen.
Das passierte mit ihrem Kopf nicht. Immer öfter drehte sie ihn, weil sie ihre Blicke durch das Zimmer gleiten ließ. Das Licht hatte die Tierärztin angelassen. Nur war es nicht so hell, um den gesamten Raum auszuleuchten. Es gab noch genügend Schatten, die sich in den Ecken versammelt hatten.
Dort hinein bohrte Helen ihre Blicke. Bewegte sich da etwas?
Hatte die Gräfin vielleicht ihre Geister geschickt? Diese Voodoo-Geister, von denen sie manchmal sprach. Die alten Gespenster der Toten, die aus den jenseitigen Reichen zurückgekehrt waren.
Voodoo war für Europäer ein geheimnisvoller Zauber. Man verband ihn mit dem Tod und auch mit lebenden Toten, den Zombies, die aus ihren Gräbern stiegen und sich über die Lebenden hermachten, um sie zu töten und zu fressen.
Das hatte Helen nicht erlebt, doch sie erinnerte sich an die entsprechenden Filme mit diesem schrecklichen Thema.
Lebende Tote. Halb verweste Gestalten, die aus dem Dunkel einer nebelverhangenen Nacht kamen, um das Grauen zu verbreiten.
Mit der Tierärztin hatte sie darüber bewusst nicht gesprochen.
Die Frau hatte schon genug für sie getan, und sie wollte sie nicht noch mehr verwirren und ängstigen.
Die eigenen Gedanken aber bekam Helen nicht weg. Sie blieben.
Daran konnte sie auch nichts ändern.
Es war und blieb still. Es näherte sich nichts. Aber einige Minuten zuvor – oder waren bereits Stunden vergangen, so genau wusste sie es nicht – da hatte sie Geräusche gehört. Nicht hier im Zimmer, sicherlich auch nicht im Haus, aber diese Laute hatte sie einfach nicht überhören können. Dumpfe Schläge, deren Echos sie zusammenschrecken ließen.
Sie waren verstummt. Lange schon. Die Stille hatte wieder von ihrer Umgebung Besitz ergriffen. Wenn sie mal einen Laut hörte, dann produzierte sie ihn selbst.
Entweder durch ihr Atmen oder durch die Bewegungen der Decke, die ein leises Rascheln abgab.
Weder die Tierärztin noch ihre Tochter hatten sie mittlerweile besucht. Helen glaubte daran, dass man noch nach ihr schauen würde und…
Ihre Gedanken wurden durch den heftigen Schmerz unterbrochen. Er war plötzlich da und strahlte durch die gesamte linke Brustseite. Dort befand sich das Zentrum. Von da strahlte er ab. So stark, dass der Frau für einen Moment schwindlig wurde. Sie lag zwar auf dem Rücken, aber sie hatte das Gefühl, durch ein heftiges Aufbäumen über der Couch zu schweben, um wenig später wieder nach unten zu sacken.
Der Schmerz ebbte ab. Helen hatte den Atem angehalten. Endlich konnte sie wieder Luft holen. Sie musste husten, stöhnte auf, bewegte sich zu hektisch und spürte wieder den Stich, der sich durch ihren Fuß zog und das Bein erreichte.
Ihr war Schweiß ausgebrochen. Sie fühlte sich plötzlich matt und völlig kraftlos. Das hing nicht mit ihrem verletzten Fuß zusammen.
Da musste etwas anderes hinzugekommen sein.
Der Stich!
Dieser bösartige, hinterhältige und auch grausame Stich, der sie in Höhe des Herzens getroffen hatte. Für einen Moment war sie der Meinung gewesen, dass ihr Herz nicht mehr schlagen konnte. Es hatte ihrer Meinung nach sogar still gestanden. Zum Glück war es ein Irrtum, denn jetzt schlug es wieder.
Helen war damit trotzdem nicht zufrieden. Die Schläge kamen ihr anders vor und nicht mehr so gleichmäßig wie sonst. Als wären sie manipuliert worden.
Helen fürchtete sich, aber sie konzentrierte sich trotzdem auf die Schläge.
Ja, es stimmte. Keine Täuschung. Der Schlag ihres Herzens hatte sich verändert. Das machte ihr eine noch größere Angst. Auch deshalb, weil sie es nicht als natürlich ansah. Nie zuvor hatte sie unter Herzbeschwerden gelitten und das trotz ihrer nicht gerade ebenmäßig verlaufenen Vergangenheit. Ihr Herz hatte das Drama ihrer Ehe eigentlich gut überstanden, bis auf diesen unerklärlichen Anfall.
Auch weiterhin blieb sie auf dem Rücken liegen. Helen bemühte sich, so ruhig wie möglich zu bleiben und wollte auch innerlich ihre Ruhe finden, was allerdings nicht einfach war, denn die Aufregung ließ sich nicht wie auf Knopfdruck abstellen.
Das Herz klopfte. Es pumpte. Die Echos der Schläge waren in ihrem Kopf zu hören. Sie presste die Lippen zusammen und holte nur mehr durch die Nase Atem.
Allmählich fand sie wieder zu sich selbst. Der kurze Anfall geriet zwar nicht in Vergessenheit, aber sie dachte nicht mehr so scharf über ihn nach. Sie
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