1312 - Letzte Ausfahrt Hölle
Gleichmacher. Das Fernlicht glitt an dem Fahrzeug vorbei in eine Weite, in der sich nichts bewegte. Da war alles anders geworden. Wir schienen über den Boden zu schweben und holten mittlerweile immer mehr auf. Wir konnten uns leicht ausrechnen, wann wir den Wagen erreichten.
Dann würde es auf Sukos Fahrkunst ankommen, um ihn noch vor dem eigentlichen Ziel zu stoppen. Dass dies nicht ohne Beulen und Dellen ablaufen würde, war uns ebenfalls klar.
Das Risiko war hoch. Was uns erwartete, war auch im Licht nicht auszumachen. Ich hoffte nur, dass es kein Steilhang war, der senkrecht in die Tiefe führte.
Mein Freund drehte das Lenkrad etwas nach rechts. Genau an der Seite wollte er den hellen Daimler einholen. In seinem Gesicht zeichnete sich nicht ab, was er fühlte. Suko wirkte so gelassen, als hätte er so etwas schon immer getan.
Wir holten auf. Suko gab sein Bestes. Wir drückten uns beide die Daumen, dass wir es schafften. Die Chancen standen 50 zu 50. Das hörte sich im Prinzip nicht schlecht an.
Unter dem Gras versteckt lag das Wellenmuster des Erdbodens.
Immer häufiger bekamen wir es zu spüren, aber auch der Daimler tanzte mal hoch, dann wieder nach unten. Er rutschte, wenn er verkehrt aufkam. Sein Fahrer musste jedes Mal mühsam gegenlenken und das, obwohl er die Strecke kannte. Aber er war wohl noch nie gejagt worden so wie heute.
Und wir blieben ihm auf den Fersen. Wir zeigten die Verbissenheit von Jägern, die an alles dachten, nur nicht an Aufgabe.
Das helle Licht überflutete den Daimler. Er sah jetzt fast aus wie ein Ufo, das vom Himmel gefallen war und sich auf der Erde nur mühsam weiterbewegte.
»Okay, dann zum letzten Einsatz!«, flüsterte Suko scharf und gab noch mal Gas.
Nicht nur der Rover ruckte vor, auch wir bekamen den Ruck mit.
Der Antrieb drückte die Reifen für einen Moment in den weichen Grasboden. Dann packten sie, und wir schleuderten für einen winzigen Augenblick. Allerdings blieben wir in der Spur, und der weiße Daimler rückte näher und näher.
»Wir schaffen es, John!«
Das glaubte ich jetzt auch. Ein schneller Blick auf Suko. Sein Mund hatte sich zu einem Lächeln verzogen. Ich glaubte sogar, in seinen Augen einen gewissen Glanz zu sehen, wie man ihn von einem Jäger kannte, der das lang ersehnte Wild endlich vor die Mündung seiner Waffe bekommen hatte.
Unser linkes Vorderrad befand sich jetzt auf gleicher Höhe mit dem rechten Hinterrad des Daimlers.
Ich warf einen Blick in den Mercedes.
Ein mir unbekannter junger Mann saß im Fond. Er hatte die Augen weit geöffnet und wirkte wie jemand, der in einem Eisblock eingefroren war.
Suko gab wieder Gas.
Ein Ruck.
Wir schoben uns auf die vordere Seite des Fahrzeugs zu. Genau das war die erste Etappe des Ziels. Auch Suko warf jetzt einen kurzen Blick an mir vorbei. Ich bekam noch sein zufriedenes Nicken mit, dann zog er das Lenkrad nach links.
Der erste Kontakt.
Unwillkürlich ballte ich die Hände zu Fäusten. Das entstehende Geräusch war nicht eben leise. Wir bekamen einen Stoß mit, doch der andere Wagen geriet aus der Spur. Er brach nach links aus, und wir hofften, dass er sich drehen würde.
Den Gefallen tat er uns leider nicht. Rico Genari bekam ihn wieder unter seine Kontrolle. Er hockte geduckt hinter dem Steuer.
Die Haltung kam mir verbissen vor.
Nach einem leichten Schlingern fuhr er wieder geradeaus und direkt auf sein Ziel zu.
Wir hatten ihn bald, das war klar, aber wir mussten uns auch beeilen. »Noch mal das Gleiche!«, rief ich Suko zu.
Es war leichter gesagt als getan, denn der Daimler hatte sich frei gekämpft. Er war sogar noch schneller geworden, was selbst Suko nicht erwartet hatte. Er schickte ihm ein kurzes Knurren hinterher.
Nur an Aufgabe dachte er nicht.
Er gab wieder Gas. Noch mehr Tempo. Unser Rover geriet leicht ins Schlingern, der Boden war für derartige Attacken eben alles andere als ideal. Suko fing das Fahrzeug wieder ab. Er war bereit für die nächste Attacke.
Wir folgten der hellen Gardine des Fernlichts, die den Daimler eingehüllt hatte. Was weiter davor lag, sahen wir nicht. Auch leider nicht, wie sich das Gelände entwickelte. Aber ich hatte das Gefühl, dass Suko es jetzt durchziehen musste. Wieder schoben wir uns näher an den Daimler heran. Unser Rover wirkte bei der Fahrt längst nicht so träge im Gegensatz zu dem schweren Mercedes. Noch einmal würde uns das Fahrzeug nicht entwischen. Das stand fest.
Zwischen Theorie und Praxis klafft oft eine Lückte.
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