132 - Die Seelenfänger
den angebotenen Whisky lehnte er ab.
„Glauben Sie, daß es eine Möglichkeit gibt, den Fluch zu bannen?" eröffnete Coco das Gespräch. „Aber gewiß, Senorita", versicherte Ramon überzeugt. „Es heißt sogar, daß sich der Fluch unter gewissen Voraussetzungen von selbst aufheben wird. Ich glaube fest daran."
„Erzählen Sie uns mehr darüber", forderte Dorian ihn auf.
Der Bucklige räusperte sich.
„Ich setze voraus, daß Sie die geschichtlichen Ereignisse kennen und wissen, wie es dazu kam, daß die spanischen Kapitäne ihre Galionen selbst in Brand steckten."
„Uns interessieren nur Details über den Fluch", sagte Dorian. „Ernst Schweiger erzählte uns, daß der eine Kapitän einen Magier als Berater gehabt haben soll. Daß dieser ihn mit seiner Mannschaft jedoch in einen Hinterhalt der Engländer lockte."
„Das ist richtig, Senor", sagte Ramon. „Dieser Magier fand bei den Kämpfen selbst den Tod. Doch war seiner Seele keine Ruhe vergönnt. Denn der Fluch der verratenen Seeleute will es, daß er erst Erlösung finden soll, wenn er die gefallenen Seeleute ersetzt hat und die Mannschaft wieder vollzählig ist. Das ist bis heute noch nicht geschehen. Darum geistert der Magier in Nebelnächten durch dieses Land, auf der Suche nach Männern, die auf dem verfluchten Schiff anheuern möchten. Ich bin sicher, daß er Fernando Vergara, den Verlobten von Maria, als Seemann gewinnen konnte. Seitdem ist der Ärmste verschwunden."
„Wieso wissen Sie das alles so genau?" erkundigte sich Coco.
„Ich lebe schon lange in diesem Haus, Senor", flüsterte Ramon und blickte sich um, als könnte er belauscht werden. „Ich habe es alleine betreut, damit es nicht ganz zerfällt. Gelegentlich verdiente ich mir etwas dazu, indem ich Touristen hier einquartierte - wie Sie und die jungen Deutschen. Ich habe viel gesehen und gehört, was nicht für die Augen und Ohren eines Sterblichen bestimmt war. Einmal überraschte mich der Nebel während eines Spaziergangs. Auf einmal stand ich vor der versunkenen Zitadelle. Ich hörte die Geister der gefallenen Soldaten miteinander sprechen, hörte den Kampflärm, als sie mit den Engländern zusammenstießen. Und ich hörte ihre Todesschreie, nie werde ich sie vergessen."
Ramon holte tief Atem, bevor er fortfuhr:
„Ich bekam solche Angst, daß ich in kopfloser Panik floh, wie Sie sich sicher gut vorstellen können. Und auf meiner Flucht entdeckte ich den Friedhof der namenlosen Seelen. Um ein Haar hätten sie mich gefaßt. Was stand ich damals für Ängste aus! Aber wahrscheinlich hielten sie mich für untauglich und ließen mich deshalb laufen. Ich bin nur ein alter gebrechlicher Mann. Aber seit diesem Erlebnis bin ich mutiger geworden und habe mich in den Nebelnächten manchmal zum Friedhof getraut. Es kostete mich keine Mühe, ihn zu finden. Denn wer einmal dort war, findet den Weg immer wieder. Und bei meinen Besuchen belauschte ich die Gespräche der Toten. Sie taten mir leid. Aus ihren Worten sprach die Sehnsucht nach dem Meer. Sie lechzten nach Erlösung. Aber ich konnte ihnen nicht helfen. Und noch etwas, Senor. Der Nebel, der so unvermittelt über diesen Abschnitt der Ria de Vigo hereinbricht, ist nicht natürlichen Ursprungs. Ich bin sicher, daß er aus den Seelen der Toten gebildet wird."
Er brach ab und betrachtete Coco und Dorian mit bedeutungsvollen Blicken.
„Keine Angst, Ramon", sagte Dorian, „wir halten Sie keineswegs für verrückt. Wir glauben Ihnen. Und wir würden selbst gerne diesen Ort aufsuchen. Würden Sie uns zu dem Friedhof führen?" „Wollen Sie das wirklich?" fragte Ramon ungläubig. „Haben Sie keine Angst vor dem Fluch? Sie sind jung und stark und könnten Gefahr laufen, selbst…" Ramon sprach den Satz nicht zu Ende, zu schaurig schien ihm diese Vision zu sein.
„Wer weiß, vielleicht hat uns der Fluch längst schon eingeholt", meinte Dorian. „In diesem Fall haben wir sowieso keine andere Wahl. Was ist, Ramon, führen Sie uns hinaus?"
„Das ist nicht jederzeit möglich", zierte sich der Bucklige. „Man müßte den richtigen Zeitpunkt abwarten."
„Geben Sie uns Bescheid, wenn dieser Zeitpunkt gekommen ist", forderte Dorian ihn auf. „Sie können sich jederzeit an uns wenden, ohne Rücksicht auf die Stunde, egal wie spät es ist. Wir sind jederzeit bereit. Werden Sie uns verständigen, Ramon?"
Der Portier erhob sich.
„Wie Sie wünschen, Senor - Senorita."
Er verneigte sich in Cocos Richtung und wollte sich
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