1331 - Hochzeitskleid und Leichenhemd
nicht geben konnte?
Sie hatte keine Ahnung. Dieses Bild war da. Eine schreckliche und fremde Person hatte sich ihr Brautkleid übergestreift. Sie war eine Gestalt aus dem Horrorfilm, das sah Marietta trotz des Halbdunkels im Zimmer.
Bewegen konnte sich Marietta noch immer nicht. Das tat die andere. Sie hatte sich aus dem Versteck gelöst und ging mit wohl gesetzten Schritten quer durch den großen Raum der Hotelsuite.
Wieder waren ihre Schritte kaum zu hören, und Marietta fragte sich, wohin diese Person wollte.
Vielleicht das Zimmer verlassen? Einfach so verschwinden und eine entsetzte zukünftige Braut zurücklassen?
Auf die Tür ging sie zu und schaute die junge Frau auch nicht mehr an. Die blickte jetzt auf den Rücken der anderen, die kurz vor der Tür stehen blieb und sich drehte.
Das Gesicht war nicht mehr zu erkennen. Die Dunkelheit hatte es geschluckt. Aber das weiße Kleid schwebte über den Boden hinweg, und sogar das leise Schleifen des Schleiers war zu hören. Ansonsten vernahm sie keine Geräusche. Selbst ihr eigenes Atmen war verstummt.
Die unheimliche Erscheinung kehrte zurück. Wenn sie ihren Weg beibehielt, würde sie genau mit der Braut zusammenstoßen. Marietta sah es, aber sie bewegte sich nicht vom Fleck und wartete ab.
Rasante Vorstellungen schossen durch ihren Kopf. Sie verkrampfte dabei, als sie daran dachte, von den schrecklichen Händen dieser Unperson angefasst zu werden.
Jetzt fiel ihr noch etwas anderes auf. Sie schaute sich das Gesicht genauer an und wunderte sich darüber, dass sie es in dieser Umgebung so deutlich sah. Es lag einfach daran, dass es von innen her leuchtete. Es gab einen leichten grünlichen Totenschein ab, als würde eine Moorleiche in dem Kleid stecken, die fluoriszierte.
Schritt für Schritt schmolz die Entfernung zusammen. Marietta war noch immer nicht in der Lage, etwas zu unternehmen. Sie schaffte es nicht mal, ihren Fuß anzuheben und musste sich darauf einrichten, dass die Gestalt sie erreichte und sie auch anfassen würde.
Marietta hätte so gern etwas gesagt, doch sie brachte es nicht fertig. So konnte sie nur schauen, was die andere Seite tat.
Sie ging und meldete sich!
Erst glaubte die Braut an eine Täuschung, dann aber war alles anders. Sie hörte tatsächlich das Summen der fremden Gestalt, nur spielte es sich in höheren Frequenzen ab, die ihre Ohren nur sehr schrill erreichten.
War es nur ein Singsang oder waren es auch Worte? Wollte die Person mit ihr sprechen, sich mit ihr unterhalten oder hatte sie etwas anderes mit ihr vor?
Es gab nichts, was ihr eine Antwort gegeben hätte.
Das Gesicht. So hässlich. So verwest wirkend. Mit einer Haut, die diesen Namen nicht mal verdiente. Zum Teil war sie eingerissen.
Sie zeigte auch Löcher, als hätte dort jemand mit einem Messer hineingestochen, und Lippen sah sie so gut wie nicht.
Haare wuchsen ebenfalls auf diesem schrecklichen Schädel.
Allerdings konnte man sie auch nicht als normal bezeichnen. Sie waren weiß und grau, einfach eine hässliche Putzwolle.
Dann blieb die Gestalt stehen.
Marietta hielt den Atem an.
Sekundenlang passierte nichts, bis sie plötzlich die Stimme der Gestalt hörte. Auf einmal konnte sie sprechen, und Marietta hatte große Mühe, die Worte zu verstehen.
»Du bist die neue Braut… Ein schönes Kleid hast du …«
Marietta nickte.
»Weißt du, woher es stammt?«
Sie hob die Schultern.
»Ich will es dir sagen. Es ist alt, sogar sehr alt, und es hat mit ihm eine besondere Bewandtnis. Wer es trägt, der geht damit nicht nur zur Hochzeit, sondern auch in die kalte Erde hinein. Es ist Brautkleid und Leichenhemd zugleich. Hast du das gewusst?«
Nein, das hatte sie nicht gewusst, aber sie sagte es auch nicht. Sie merkte nur, dass sie wieder diesen seltsamen Kälteschock mitbekam. Vor allen Dingen blieb der Begriff Leichenhemd in ihrem Gedächtnis haften. Ja, so war es…
»Erschreckt es dich…?«
Sie schwieg.
Aber die Gestalt sprach weiter. »Mir gefällt es auch noch, hast du verstanden? Ich finde es nach wie vor wunderbar. Es ist ein Traum. Kein Wunder, denn ich habe es mir damals ausgesucht. Ich, verstehst du? Ich bin seine wahre Besitzerin, und ich bin auch in diesem Leichenhemd gestorben.«
Jetzt hatte Marietta alles gehört. Aber sie konnte es nicht glauben.
Das war einfach nur verrückt. Das widersprach jeglicher Logik.
Und sie war auch weiterhin nicht in der Lage, eine Antwort zu geben. Die Welt um sie herum hatte sich verändert, obwohl sie
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