136 - Im Schloss der Daa'muren
dein Kind nach einem Schädling, Jenny?«, fragte sie gedehnt.
Jennifer Jensen fuhr herum, rot im Gesicht und mit blitzenden Augen. »Solche gehässigen Bemerkungen kannst du dir sparen, Aruula! Verdammt, es ist nicht meine Schuld, dass du dein Kind verloren hast!«
Matt fuhr hoch. Er war ihn so satt, diesen schwelenden Krieg zwischen den beiden Frauen, den er nicht brauchte und nicht verstand. Der Commander sah aus, als würde er jeden Moment explodieren. Er holte tief Luft.
»Wartet mal!« Aruula hob plötzlich die Hand.
Schweigen senkte sich über den Platz. Nichts war zu hören außer dem Wind in den Bäumen und einem gelegentlichen Knacken trockener Zweige.
Aruulas Miene veränderte sich. Ein alarmierter Blick trat in ihre Augen, und sie legte einen Finger auf die Lippen. Sie spürte es mit ihren Lauschsinnen: Jemand beobachtete sie.
Doch als sie sich kurz konzentrierte und ihre telepathischen Fühler ausstreckte, konnte sie niemanden im näheren Umkreis ausmachen außer Matt und Jenny.
Mit Handzeichen forderte Aruula die Gefährten zum Weitergehen auf und gab ihnen zu verstehen, dass sie nachkommen würde. Matt nickte stumm, während die Barbarin mit einer fließenden Bewegung ihr Schwert zog. Er griff nach dem Driller. Als er ihn entsichert hatte, war Aruula verschwunden.
***
Sie erregten ihn, diese Zweibeiner. Sie waren anders als die Jagenden, die er gelegentlich sah, und sie taten etwas, das kein Lebewesen sonst tat: Sie liefen sorglos durch sein Revier. Fast unentwegt gaben sie Laute von sich – sehr viele, sehr unterschiedlich, sehr schnell. Zu schnell. Es reizte ihn, deshalb war er ihnen gefolgt.
Er wollte nicht jagen; der Spikkar war kaum verdaut. Er wollte töten. Mehrmals schon hatte er einen geeigneten Platz aufgesucht, doch was er brauchte, hatten sie ihm nicht gegeben.
Jetzt war es plötzlich anders.
Das Rudel Zweibeiner hatte sich getrennt, eines der Weibchen war ganz in der Nähe. Die beiden Anderen entfernten sich immer weiter. Nicht mehr lange, dann mussten sie sich durch Rufen verständigen. Bald schon. Lautlos ließ er sich zu Boden sinken und traf seine Vorbereitungen.
Er war der König der Karpatenwälder – ein Ausbund an Hinterlist, ohne natürliche Feinde und kaum bezwingbar.
Evolution und Daa’murenexperimente hatten seinen Körper zu groß werden lassen, um auf Bäume zu klettern, und zu schwer, um schnell zu laufen. Deshalb ließ er seine Beute zu sich kommen. Dra'guum nannten ihn die Menschen. Was keineswegs Drache bedeutet, wie man vermuten könnte, sondern Mörder.
***
»Rede mit mir!«, sagte Jenny unruhig, während sie neben Matt her schritt. Zwischen den Baumkronen vor ihnen, in der Höhe, war die Schäßburg zu sehen.
Matthew beugte sich Jenny zu. »Jemand folgt uns«, sagte er leise.
»Ein Daa’mure?«
»Hoffentlich nicht.« Matt schaute zurück, auch wenn er nicht wirklich erwartete, etwas zu entdecken.
»Warum suchen wir ihn nicht gemeinsam?«, fragte Jenny.
Matt schüttelte den Kopf. »Wir würden ihn niemals finden. Solange er sich zwischen Tannen und dem ganzen Gesträuch hier bewegt, bleibt er unsichtbar. Aber wir können ihn dazu bringen, uns auf offenes Gelände zu folgen.«
»Verstehe.« Jenny nickte. »Und Aruula spielt den Lockvogel dafür.«
Matt stutzte. »Aber nein«, sagte er verwirrt. »Aruula will ihm den Weg abschneiden. Die Lockvögel sind wir!«
Er schritt zügig aus. Das Umfeld der Schäßburg wurde ganz sicher bewacht. Daa’muren waren das Naheliegendste, wenn es um die Frage nach Verfolgern ging – doch vielleicht hatten sie auch ein paar Einheimische rekrutiert und trieben sich nicht selbst in den Wäldern herum.
Matt versuchte seine wachsende Nervosität zu unterdrücken.
Was würde mit Annie geschehen, wenn die Daa’muren entdeckten, was sie vorhatten?
Er wagte nicht daran zu denken…
***
Anns Welt
Manchmal gab es kein richtiges Wort. Es war nicht so, dass einem das Wort nicht einfiel – es gab einfach keines, und dann sagte man eben komisch. Obwohl der Junge gar nicht komisch war.
Ann hatte gedacht, sie würde ein Gespenst sehen, wenn sie sich umdrehte. Oder vielleicht einen Drachen oder einen Räuber. So erschrocken hatte Jana ausgesehen, als sie an Ann vorbei zeigte und »Da! Da! Da!«, rief.
Aber da stand nur ein Junge.
Er war so groß wie Ann, also ein bisschen kleiner als Jana.
Er hatte grüne Augen und glatte schwarze Haare, und er war sehr schlank. Nicht etwa mager, sodass man überall die Knochen
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