1364 - Killer-Engel
Boot.«
Er hob seine Schultern. Die Lippen zuckten, aber die richtigen Worte hatte er noch immer nicht gefunden. Da vergingen Sekunden, bis er reden konnte.
Purdy drängte ihn nicht. Auf der einen Seite ließ sie den Jungen nicht aus dem Auge, auf der anderen wollte sie sehen, was sich am Himmel tat. Sie brachte ihn mit einem Engel in Verbindung, und sie konnte sich vorstellen, dass ihr und Bruce aus diesem wolkigen Gebilde plötzlich eine Gefahr drohte.
Der Junge hatte sich endlich dazu entschlossen, etwas zu sagen. Er sprach gerade so laut, dass sie ihn hören konnte. »Ich weiß gar nicht so recht, wie ich zu Ihnen gekommen bin, Mrs. Prentiss. Da ist irgendetwas in meinem Kopf nicht mehr richtig. Mir… mir … fehlen … ich weiß es auch nicht.«
»Dir fehlt Zeit? Ist da ein Loch? Keine Erinnerung mehr?«
»Ja, Mrs. Prentiss, genau so.«
»Und jetzt?« Ihr war klar, dass Bruce Hilfe benötigte. Deshalb konzentrierte sie sich auch nur noch auf ihn. Deshalb konzentrierte sie sich nur noch auf ihn. Die Umgebung außerhalb des Balkons interessierte sie nicht mehr.
Er deutete mit dem Daumen zurück in die Wohnung. »Ich… ich … habe da etwas gesehen, und ich weiß, dass es … dass es mein Zeichenblock ist. Den kenne ich ja. Aber ich weiß nicht, woher diese schrecklichen Gestalt auf der ersten Seite kommt. Das ist ein Skelett …«, er hob die Schultern. »Ja, und dann wundere ich mich darüber, dass ich bei Ihnen bin, Mrs. Prentiss. Wieso?«
»Ja, du bist zu mir gekommen.«
»Mit dem Block?«
Sie nickte ihm lächelnd zu.
Bruce Everett verstand sie nicht. Er wusste auch nicht, wohin er schauen sollte.
»Und das Skelett?«, fragte er schließlich.
»Es wurde gemalt.«
»Von wem?«
Purdy hatte geahnt, dass Bruce ihr diese Frage stellen würde. Aber auch jetzt konnte sie sich nicht dazu entschließen, die Wahrheit zu sagen. Himmel, Bruce war erst zwölf Jahre alt. Sie wusste nicht, wie er das verkraftete, wenn sie jetzt sprach.
Die lange Schweigepause zwischen ihnen hatte auch Bruce zum Nachdenken genutzt. Er wollte nicht mehr länger schweigen sagte mit leiser Stimme: »Ich habe den Block hierher zu Ihnen gebracht, Mrs. Prentiss. Ja, da kann es doch sein, dass ich auch das Skelett gezeichnet habe. Oder haben Sie das getan?«
»Nein, nicht ich.«
»Ich denn?«
»Es sieht so aus.«
Bruce sagte kein Wort mehr. Er dachte nach, und er schaute dabei ins Leere. Bestimmt fegten zahlreiche Gedanken durch seinen Kopf, sodass ein Durcheinander entstand.
»Ich kann mich aber an nichts erinnern«, flüsterte er. »Das ist alles wie von einem Nebel verschluckt worden. Ich weiß nicht, was mit mir los ist, und ich schäme mich so. Außerdem kann ich gar nicht so gut malen. Das Bild kann nicht von mir sein, da bin ich ehrlich.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, was ich noch tun soll.«
Es war schwer für ihn, das gab Purdy zu. Sie wusste, dass jetzt eine schwere Aufgabe vor ihr lag. Sie musste den Jungen beruhigen.
Er sollte sich nicht noch weiter aufregen.
»Es wird sich alles regeln lassen, Bruce, das musst du mir glauben. Es ist am besten, wenn du dich zurückhältst und wieder zurück in die Wohnung gehst.«
»In Ihre?«
»Ja.«
»Aber ich könnte meine Eltern anrufen und ihnen erklären, was mir passiert ist. Sie würden mir zwar kaum glauben, aber sie würden so schnell wie möglich kommen.«
»Ich denke nicht, dass es gut wäre«, sagte Purdy.
»Warum nicht?«
»Sie würden es nicht verstehen. Sie wären sicherlich geschockt, wenn sie die Wahrheit erfahren. Lass sie auf der Party. Wenn sie in der Nacht zurückkehren…«
»Nein, nein, Mrs. Prentiss«, sprach Bruce in ihren Satz hinein. »So ist das nicht. Sie kommen nicht nach Hause. Erst morgen Mittag. Sie übernachten bei den Freunden. So können sie beide etwas trinken. Aber das ist mir nicht neu.«
»Dann werde ich auf dich achten. Mal schauen, wie die Nacht abläuft, Bruce.«
Ein Antwort gab der Junge nicht. Aber er war durcheinander. Das sah ihm Purdy an. Auch wenn er einen so ruhigen Eindruck auf sie machte, seine Blicke sagten genau das Gegenteil. Er war nicht ruhig, sondern durcheinander.
»Geh schon mal vor ins Zimmer«, sagte die Staatsanwältin. »Ich komme gleich nach.«
Bruce zögerte noch, befeuchtete seine spröden Lippen und schaute über die Brüstung hinweg. Es sah so aus, als wollte er etwas sagen, überlegte es sich dann jedoch anders und ging zurück in das Wohnzimmer.
Purdy Prentiss atmete tief durch.
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