1364 - Killer-Engel
schob sie die schwere Schiebetür, die sich fast unhörbar auf der gut geölten Schiene bewegte, zur Seite.
Purdy Prentiss hatte freie Bahn.
Mit einem ersten schnellen Schritt stand sie auf dem Balkon, ging jedoch nicht weiter, sondern schaute sich um.
Als Erstes fiel ihr auf, dass sich in dem übersehbaren Bereich nichts verändert hatte. Alle für den Sommer bereitgestellten Möbel standen noch auf ihren Plätzen. Das sorgte bei ihr schon für eine erste Beruhigung. Sie schaute sich kurz zu den Seiten hin um und ging dann auf die Brüstung zu.
Sie schickte den ersten, fast schüchternen Blick in die Tiefe, ohne dass sie etwas Verdächtiges wahrnahm. Auf dem Parkstreifen standen die Fahrzeuge der Hausbewohner, und auch dort gab es keine Bewegung.
Purdy musste eigentlich davon ausgehen, dass sich die Gestalten noch in der Luft befanden. Okay, vom Dach aus hätte sie einen wesentlich besseren Blick gehabt, aber auch hier konnte sie sich nicht beschweren. Einen Teil des Himmels überblickte sie und sah ihn völlig normal vor sich.
Sie hätte sich gefreut, wenn alles normal gewesen wäre, nur konnte Purdy daran nicht so recht glauben. Und die verdammten Wesen waren auch keine Halluzination gewesen.
Sie hatte die Kämpferin und Lockvogel zugleich spielen wollen.
Zum Kampf war es noch nicht gekommen. Jetzt hoffte sie darauf, weiterhin nur der Lockvogel zu bleiben, jedenfalls, bis John und Suko eingetroffen waren.
Groß genug war sie ja. Mit dem Oberkörper ragte sie über die Brüstung hinweg. Sie beugte ihn jetzt sogar vor und wollte ihn auch drehen, um Stellen zu sehen, die ihr bisher verborgen geblieben waren.
Der Blick zu den Seiten hin, nach unten, dann nach oben, wobei sie sich drehen musste.
Und von dort hörte sie das Kreischen!
Für Purdy war es ein fast unmenschliches Geräusch, das nicht unbedingt aus menschlichen Kehlen stammen musste. Nur blieb es dabei nicht, denn sie starrte noch in die Höhe, als sich vom Dach des Hauses drei Gestalten lösten und in die Tiefe flogen.
Den Boden wollten sie bestimmt nicht erreichen. Ihr Ziel lag zwei Etagen tiefer.
Und dort stand Purdy Prentiss.
***
Suko fuhr so schnell wie möglich. Ich hatte ihm das Lenkrad gern überlassen, weil ich zunächst zu stark mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt war.
Ich wusste, dass etwas auf uns zukam. Und es hatte nichts mit dem zu tun, worüber wir Bilanz gezogen hatten, denn das waren nur die Hauptgegner gewesen, wobei man Belial auch dazu zählen konnte, aber er war uns eben nicht eingefallen.
Purdy Prentiss hatte ihn gesehen. Ein Nachbarjunge ebenfalls. Ich hatte keinen Grund, an ihren Aussagen zu zweifeln. So etwas bildete man sich nicht ein.
Was wollte Belial? Warum hatte ein völlig normaler Junge von zwölf Jahren plötzlich den Schwarzen Tod gemalt?
Auf diese Fragen musste ich Antworten finden, und ich wusste, dass es nicht leicht sein würde. Wir hatten gedacht, eine kurze Pause einlegen zu können, aber dafür hatte die andere Seite kein Verständnis.
Mich beschäftigte besonders eine Sache. Der Junge hatte den Schwarzen Tod gezeichnet. Eine Person, die er in seinem Leben noch nie gesehen haben konnte. Aber warum hatte er das getan, zum Teufel? Wer hatte ihn dazu gebracht?
Es gab für mich nur eine Antwort auf diese Frage. Dahinter steckte Belial. Er war der Engel der Lüge. Er war derjenige, der die Lüge zur Wahrheit erklärte, und er existierte in einer Dimension, die aus der reinen Lüge hervorgegangen war, obwohl man sie auch als existent und damit wahr ansehen konnte.
Es war keine Höllenfahrt durch London, die uns bevorstand. Aber mein Freund drückte schon das eine oder andere Mal stärker aufs Gaspedal und brachte den Rover leicht ins Schleudern. Aber er fing ihn immer geschickt ab.
Dass wir von den Kollegen nicht verfolgt wurden, lag an dem rotierenden Blaulicht auf dem Dach des Wagens.
In London fuhren immer Wagen mit Blaulicht auf den Straßen.
Das hatte die Menschen abgebrüht werden lassen, und so beachtete uns auch kaum jemand.
»Du denkst an Belial!«, sagte Suko.
»Du nicht?«
»Auch, aber nicht so direkt. Ich frage mich, in welch einer Verbindung er zum Schwarzen Tod steht. Ist dir schon eine Lösung eingefallen?«
Ich schloss für einen Moment die Augen. »Ob es die richtige ist, weiß ich nicht, aber ich gehe mal von einer zweigeteilten Welt aus, inmitten des Reichs der Finsternis. Er hat bisher nur Saladin als Helfer, der verlässlich ist. Aber der Hypnotiseur ist ein Mensch.
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