1368 - Glendas Feuertaufe
den Mann zurück.
Die hochgerissene Schaufel löste sich aus seinen Händen und prallte ihm auf den Kopf. Aber nicht deswegen sackte er zusammen. Dafür hatte die Kugel gesorgt, und dicht neben dem Grab fiel er auf den Bauch.
Glenda hörte das Jammern der Frau. Sie kümmerte sich nicht darum. Mit hektischen Bewegungen verließ sie den schaurigen Ort und lief auf das gefesselte Mädchen zu.
Es war leicht, es von seinen Fesseln zu befreien. Aber es konnte sich nicht von selbst auf den Beinen halten. Als es Glenda in die Arme fiel, weinten beide…
***
Das Licht des Scheinwerfers brannte noch immer und beleuchtete eine makabre Szenerie.
Ein toter Killer, ein schwer Verletzter, der wahrscheinlich auch noch sterben würde und eine Familie, die mit dem Schrecken davongekommen war, aber diesen Vorfall wohl niemals in ihrem Leben vergessen würde.
Frau und Mann hockten auf dem Boden. Der Mann war noch ziemlich benommen, und deshalb hielt die Frau auch ihr Kind umfangen wie einen wertvollen Schatz.
Ihr Leben verdankten die drei Personen einer Frau, die sich ein wenig abseits hingestellt hatte und zuhörte, wie ich den Notarzt informierte. Suko, Shao und ich waren tatsächlich zu spät gekommen.
Da hatte sich bereits alles erledigt, und Glenda war zu einer Heldin geworden, wobei sie selbst sicherlich nicht so dachte.
Shao kümmerte sich um sie, während ich der Frau einige Fragen stellte und herausbekam, dass sie Diplomaten aus dem Libanon waren, die sich vor Jahren in ihrem Heimatland einer Terrorgruppe in den Weg gestellt hatten.
Nun hatten sie die Quittung dafür bekommen. Das war – dank Glenda – zum Glück misslungen.
Dank ihr!
Sie war über sich selbst hinausgewachsen. Natürlich fragten wir uns sofort, ob das auch mit ihrer Veränderung zusammenhing. Als wir sie darauf ansprachen, konnte sie uns auch keine Antwort geben.
»Ich habe darüber nachgedacht, aber ich weiß es nicht. Es ist für mich alles wie ein Wunder. Ich verschwand aus Sukos Wohnung und befand mich da drüben in der Straße. Warum hier?«
»Um Menschenleben zu retten«, sagte ich.
»Ach. Ist das nicht zu einfach?«
»Menschen zu retten, ist nie einfach. Und noch immer etwas Besonderes.«
»Das weiß ich, John, und so habe ich es auch nicht gemeint. Ich mache mir darüber Gedanken, wo ich jetzt gelandet bin. Warum ausgerechnet hier? Warum nicht auf einem Hausboot auf der Themse? Aber nein, ich kam hierher«, sie deutete mit beiden Händen zu Boden, »und geriet in diesen lebensgefährlichen Stress hinein.«
Ich wusste, dass es eine Antwort gab. Ob sie jedoch richtig war, stand in den Sternen. Nur war ich noch nicht dran mit dem Reden.
Da kam mir Shao zuvor.
»Ich glaube, dass es mit deiner Veränderung zusammenhängt, Glenda. Aber nicht so, wie dieser verfluchte Saladin oder Phil Newton es sich vorgestellt haben. Du bist von deiner Natur her zu gut und zu positiv. Das kann der Grund sein.«
»Vielleicht sollst du so etwas Ähnliches werden wie Superwoman«, sagte ich.
»Du spinnst, John.«
»Nicht unbedingt. Du hast durch dieses Serum neue Kräfte bekommen und bist dazu bestimmt, sie einzusetzen. Und zwar im positiven Sinne. Das heißt, es ist durchaus möglich, dass du, wenn es dich dann wieder überfällt, an bestimmte Orte zu Menschen transportiert wirst, die sich in Gefahr befinden. Wie diese Familie eben. Das war so etwas wie deine Feuertaufe.«
Sie schaute mich an und sagte nichts. Auch nach gut zehn Sekunden hatte sie kein Wort gesprochen. Bis sich Glenda umdrehte und im Weggehen darum bat, sie allein zu lassen.
»Den gleichen Gedanken wie du, den hatte auch ich«, sagte Shao.
»Nun ja, es ist mehr eine Vermutung.«
»Das glaube ich nicht.«
Ich hob die Schultern. »Also ihr Frauen in meinem Freundeskreis seid irgendwie alle etwas Besonderes. Da brauche ich nur die Namen Jane Collins, dich…«
»Lass es gut sein, John. Aber du hast Recht.«
»Klar.«
Shao tippte mit dem rechten Zeigefinger gegen meine Brust.
»Frauen, John, sind sowieso etwas Besonderes.«
Wer wollte ihr da schon widersprechen…?
ENDE des Zweiteilers
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