14 - Im Schatten des Grossherrn 03 - Von Bagdad nach Stambul
geahnt, was wir beabsichtigen. Er hat ein sehr gutes Pferd. Wie nun, wenn er, noch während wir mit dem Überfall beschäftigt waren, die Schnelligkeit seines Tieres benutzt hat, um die befreundeten Lager in der Nähe in Alarm zu bringen?“
„Das wäre schlimm für euch und auch für uns, denn er hat uns bei euch gesehen“, antwortete ich.
„Er kennt auch unsern Lagerplatz, und es steht zu erwarten, daß der Eingang zu diesen Felsen den Bebbeh bekannt ist.“
Kaum hatte er das letzte Wort gesprochen, so erscholl vom Eingang her ein lauter Ruf:
„Allah 'l Allah! Da sind sie! Nehmt sie lebendig gefangen!“
Wir drehten uns um und erkannten den entflohenen Bebbeh, welcher mit funkelnden Augen auf mich zusprang; hinter ihm quoll ein zahlreiches Gefolge durch die Enge auf den Platz, und zugleich erhob sich ein fürchterliches Geheul, mit zahlreichen Flintenschüssen untermischt. Wir hatten den Vorgang außerhalb des Lagers gar nicht beachtet und sogar vergessen, den Eingang bewachen zu lassen.
Ich hatte übrigens nicht die mindeste Zeit zum Nachdenken, denn der Bebbeh, in welchem ich jetzt einen Khan oder Scheik vermutete, kam auf mich zu. Er trug weder Lanze noch Büchse bei sich, ganz so wie seine Gefährten; aber in seiner Hand funkelte der gewundene afghanische Dolch.
Ich empfing den kühnen Gegner mit freien Händen, ohne nach einer Waffe zu greifen. Mit der Linken umfaßte ich mit raschem Griff seine Rechte, welche den Dolch hielt, und meine Rechte legte ich ihm um den Hals.
„Stirb, Räuber!“ rief er, unter einem gewaltigen Ruck, seine bewaffnete Faust freizumachen.
„Du irrst“, antwortete ich. „Ich bin kein Bejat; ich wußte nicht, daß ihr überfallen werden solltet!“
„Du bist ein Dieb, ein Hund! Du hast mich gefangen genommen; jetzt aber sollst du mein Gefangener werden. Ich bin Scheik Gasahl Gaboya, dem noch keiner entgangen ist!“
Wie ein Blitz zuckte mir die Erinnerung durch das Hirn, daß ich diesen Namen schon als denjenigen eines der tapfersten Kurden gehört hatte. Da galt es kein Bedenken mehr.
„So nimm du mich gefangen, wenn du kannst!“ antwortete ich.
Bei diesen Worten ließ ich beide Hände von ihm ab und trat zurück. Er mochte dies als eine Schwäche von mir erkennen, stieß einen triumphierenden Schrei aus und erhob den Arm hoch zum Stoß. Das wollte ich haben: ich rannte ihm meine Faust mit solcher Gewalt in die entblößte Achselhöhle, daß seine Füße augenblicklich den Halt verloren. Sein Körper beschrieb einen weiten Bogen und stürzte sechs Schritte von mir entfernt zu Boden, und ehe er sich wieder aufraffen konnte, schlug ich ihm die geballte Faust auf die Schläfe, so daß er liegen blieb.
„Auf die Pferde, und mir nach!“ rief ich.
Ein Blick zeigte mir die ganze Szene. Es waren ungefähr zwanzig Bebbeh eingedrungen. Die Bejat standen mit ihnen im Kampf. Master Lindsey hatte zwei gegen sich und entledigte sich soeben des einen mit einem Schlag seines Büchsenkolbens; die beiden Haddedihn hatten sich nebeneinander an den Felsen gelehnt und ließen keinen an sich kommen, und der kleine Halef kniete auf einem niedergeworfenen Feind, dessen Kopf er mit dem Kolben seiner Pistole bearbeitete.
„Sihdi, nicht fliehen! Wir werden mit ihnen fertig!“ beantwortete der mutige Hadschi meinen Ruf.
„Draußen sind mehrere; die Bejat sind überfallen. Vorwärts! Schnell!“
Ich entriß dem an der Erde liegenden Gasahl Gaboya seinen Dolch, um ein Andenken an diesen unglücklich beginnenden Tag mitzunehmen, und sprang auf mein Pferd. Um den gehörigen Anlauf zu bekommen und zugleich auch den Freunden Luft zu verschaffen, zog ich den Rappen empor, gab ihm die Sporen und trieb ihn mitten in die Bebbeh hinein. Hier ließ ich ihn nach allen Seiten ausschlagen, bis ich die vier Gefährten beritten sah, und trieb ihn dann mit einem weiten Satz in den Busch hinein, den er mit seinen Hufen niederriß. Draußen mußte ich sofort anhalten, da man nur im Schritt vorwärts kommen konnte; doch erhielten die vier Kameraden immerhin Raum genug, um mir augenblicklich folgen zu können.
Sobald ich die Felsen hinter mir hatte und mich mit einem Blick überzeugte, daß alle vier entkommen waren, gab ich dem Hengst die Schenkel und galoppierte in die offene Ebene hinaus. Die andern folgten.
Eine kurze Umschau erklärte mir den ganzen Sachverhalt. Dieser Scheik Gasahl Gaboya war wirklich ein kluger Mann; denn anstatt seine Abteilung zu warnen, die doch zum Widerstand zu schwach
Weitere Kostenlose Bücher