141 - Das trockene Meer
stirnrunzelnd an. »Wie kommst du darauf?«
Black berichtete von dem eigenartigen Schemen, den er nun schon zum zweiten Mal gesehen hatte. Urla erbleichte.
»Was ist mit dir?«, fragte er. »Du verschweigst mir doch etwas.«
Urla nickte. Dann schaute sie zum Koch und legte einen Finger auf ihre Lippen. Die Tür ging auf. Sie schrak zusammen. Doch der Eintretende war nur ein Matrose, der zum Essenfassen kam. »Lass uns rausgehen.«
Sie verließen die Messe und traten an die Reling. Draußen war es so schwarz wie in einem Kohlensack; am Himmel glitzerten vereinzelte Sterne. Der Mond war nirgendwo zu sehen.
»Es gibt in Tscherskij einen Mann, der mir nachstellt«, sagte Urla nach einer Weile. »Er heißt Ygoor Saljakin und ist der Neffe meiner Herrin.«
Zu seinem Erstaunen verspürte Black einen Anflug von Eifersucht. Aber er sagte nichts.
»Ygoor ist ein Ekel; ich habe ihn immer abgewiesen«, fuhr Urla fort. »Er hat einen schlechten Charakter. Er treibt sich mit zwielichtigen Gesellen herum. Außerdem spielt er ständig, und wenn er gewinnt, verprasst er es mit Huren.« Sie seufzte. »Er sieht ganz gut aus. Deswegen ist er daran gewöhnt, dass die Frauen nach ihm schmachten.« Sie räusperte sich. »Er ist wütend, weil er bei mir nicht landen kann. Gestern Abend hat er mich erneut bedrängt und mir Übles angedroht.« Sie schaute Black an. »Und in der Nacht hat Pavla ihn mit drei Kerlen vor dem ›Krummsäbel‹ stehen sehen…«
Black erinnerte sich. Der Mann mit der Feder am Hut! Er hatte beim Anblick der betrunkenen Urla um einen Tick zu schmierig gelächelt.
»Ygoor hat uns im Gasthaus gesehen. Pavla hat ihn über mich reden hören.«
»Und was?«, fragte Black.
»Er hat gesagt, er wird es mir heimzahlen. Ich wette, er hat etwas vor.«
»Zum Beispiel?«
Urla zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht. Aber seine Andeutungen waren übel genug… Ihm ist alles zuzutrauen.«
»Glaubst du, er ist an Bord?«
Urla fuhr herum. »Wie kommst du denn darauf?«
»Mag sein, dass ich mich irre«, erwiderte Black. »Kann sogar sein, dass ich Gespenster sehe… Aber traust du ihm zu, dass er sich auf dieses Schiff schleicht, um dich bei Nacht und Nebel über Bord zu werfen?«
Urla schluckte.
»Wenn er das täte…«, Black schaute sich nach allen Seiten um, »müsste er dich wirklich sehr hassen, nicht wahr? Oder einen noch gewichtigeren Grund haben…«
Urla nickte.
»Kannst du dir einen vorstellen?«
»N-nein.«
Urla wandte den Blick ab. Sie wirkte plötzlich sehr nachdenklich, und Black wurde klar, dass sie log. Offenbar hatte er sie auf etwas gebracht, das ihr bisher nicht eingefallen war. Hatte es mit ihrem Auftrag zu tun?
***
Black machte in dieser Nacht kein Auge zu. Während Urla in ihrer Kabine in der Koje lag, bewachte er den Gang, in dem sie schlief – oder auch nicht. Wer konnte schon ins Gehirn eines anderen Menschen schauen?
In den frühen Morgenstunden hörte er Geräusche, die ihn zur Waffe greifen ließen, aber es war nur ein Matrose, der sein Quartier verließ, um den Rudergänger abzulösen. Als er an Deck gegangen war, kam bald der übernächtigt wirkende Mann herunter, den er abgelöst hatte.
Irgendwann kam Black sich wie ein Trottel vor und ging in die Messe, um das Frühstück einzunehmen. Es wurde ein wenig heller. Der Regen ließ nach, hörte aber nicht auf. Black wechselte ein paar Worte mit Käpt’n Abram, ließ sich auf ein Eiergericht ein und ging an Deck zurück, um den Dampfer einer eingehenden Inspektion zu unterziehen. Er schaute in alle ihm zugänglichen Räume, begutachtete die Murometze, die ihn argwöhnisch schnaubend begafften, und ließ sich von Abram, den er bei ihrer Fütterung antraf, verschlossene Räume öffnen.
»Was suchen Sie, Gospodin Professor?«
Ja, was suchte er? »Mir war gestern Abend so, als hätte ich jemanden im Laderaum herumschleichen sehen.«
»Sie meinen einen blinden Passagier?« Abram lachte. »Wen, um alles in der Welt, sollte es in eine Gegend ziehen, in der es von blutrünstigen Ungeheuern wimmelt?«
»Sie haben doch gesagt, es sind nur Ammenmärchen.«
»Ja, ich«, erwiderte der Kapitän. »Aber ich bin mit meiner Ansicht eine große Ausnahme.«
Black durchstöberte jeden Winkel des Dampfers, ohne etwas zu finden. Dennoch war er nicht beruhigt. Urla ließ nichts über ihren Auftrag verlauten. Der Mann, vor dem sie sich fürchtete, war der Neffe ihrer Herrin. Angenommen, er kannte Urlas Mission und wollte sie – aus welchen Gründen
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