1427 - Todesfallen
Aber sie ging auf Nummer sicher und sah sich noch in der Nähe der Leiche um.
Flach lag die Umgebung vor ihr. Keine Bewegung. Darüber der dunkle Himmel, beladen mit schweren Wolken, die nur langsam weitertrieben. Alles in allem war es eine normale Nacht, wie Angela sie schon unzählige Male erlebt hatte.
Aber hier lag ein Toter. Sie hatte den Mörder gesehen. Sie wusste etwas, und der Mörder hatte auch sie gesehen. Die Angst, dass er zurückkommen und sie suchen würde, steckte tief in ihr. Vielleicht hatte er nur nicht daran gedacht, die Zeugin zu töten. Alles war möglich in dieser verdammten Welt.
Langsam ging sie weiter. Es kam ihr selbst wie ein kleines Wunder vor, dass sie nicht panikartig floh. Die Waffe steckte im Bund ihrer kurzen Hose, zwischen Haut und Stoff.
Aber sie merkte auch, dass die Tränen aus ihren Augen rannen und an den Wangen hinabliefen. Es war ein befreiendes Weinen, das den Schock etwas milderte.
Sie bewegte sich auch weiterhin im Zeitlupentempo. Manchmal schluckte sie. Ihre Nase lief. Sie schnauzte sich und bekam kaum mit, dass sie das Gelände verlassen hatte und nun auf der Straße stand.
Sie musste nach rechts gehen, um den Wohnwagen zu erreichen, wo Giselle auf sie wartete. Angela brauchte keine Pessimistin zu sein, um sich schreckliche Dinge vorzustellen. Hier war ein Killer unterwegs auf der Jagd nach Lebendigem.
Sie schüttelte sich, als sie daran dachte, und ging weiterhin den Weg über die Straße.
Angela war froh, endlich das blasse Licht zu sehen, das rechts von der Straße in der Dunkelheit schimmerte. Dort stand kein Haus. Da gab es nur den Wohnwagen, in dem Giselle wartete.
Angela wollte sich zusammenreißen. Sie wollte vor Giselle kein Bild des Elends abgeben.
Ihr Gesicht war verquollen. Sie musste schlucken, und sie wartete darauf, das Giselle ihr entgegenkam, aber das geschah nicht.
Vor dem Wagen blieb sie stehen.
Die Tür war nicht geschlossen. Das dünne Netz zitterte im leichten Nachtwind.
Angela musste erst den Druck in ihrer Brust überwinden, bevor sie sprechen konnte. Sie rief auch nicht mit besonders lauter Stimme des Namen ihrer Kollegin.
»Giselle…«
Schweigen!
Angela schluckte. Schlimme Gedanken huschten durch ihren Kopf. Mit großer Mühe schaffte sie es, den Namen noch mal zu rufen. Diesmal ein wenig lauter.
»Bist du es, Angie?«
Freude! Ja, vor Freunde schlug ihr Herz schneller. Angela konnte gar nicht so schnell in den Wagen hineinkommen. Fast hätte sie noch das Netz abgerissen.
Dann stand sie im Innern.
Der Blick nach links in die größere Hälfte, wo das Bett stand, auf dem sonst die Freier lagen. Die rote Lampe brannte nicht, aber Giselle war trotzdem zu sehen. Sie hatte sich hingelegt und schien nicht verletzt zu sein.
Langsam ging Angela näher. Sie zog einen Stuhl mit sich, den sie neben dem Bett abstellte.
»Und?«
Giselle deutete in die Höhe. »Da auf dem Dach ist jemand gewesen. Ich habe ihn gehört und auch sein Gesicht gesehen, als er von oben in den Wagen hineinschaute.«
»Wie sah er aus?«
»Grau und bleich.«
»Und weiter?«
»Nichts, er ist wieder verschwunden. Ich weiß nicht, wohin, aber ich wäre vor Angst fast gestorben.«
»Das kann ich mir denken.«
»Und wie war es bei dir?«
»Auch kein Spaß. Ich habe den Killer gesehen und einen Mord.«
Giselle gab keine Antwort. Sie schien nicht begriffen zu haben, was Angela da erzählt hatte. Sie fing sogar an zu lachen, was wiederum Angela störte.
»Hast du nicht gehört, was ich dir sagte?«
»Ja, das habe ich.«
»Und du sagst nichts?«
»Aber du lebst ja.«
»Mich hat es auch nicht erwischt. Ich bin nur Zeugin geworden. Es war einer der Polizisten, die uns besucht haben. Er hat sich klammheimlich davongemacht und wollte zu uns. Wir hätten es beide mit ihm treiben sollen. Als er mich dann sah…«
Angela berichtete der Freundin die Einzelheiten, und erst jetzt begriff Giselle, was da tatsächlich abgelaufen war. Sie öffnete ihre Augen so weit, dass das Weiße zu sehen war. Sie konnte nicht fassen, was da abgelaufen war.
»Und er hat dich gehen lassen?«
»Das ist ja das Wunder.«
»Aber er wird sich noch mal melden – oder?«
»Melden ist gut.« Angela lachte. »Wenn, dann würde er kommen und die Zeugin umbringen, aber daran glaube ich komischerweise nicht. Hat was mit Gefühl zu tun. Aber wenn jemand kommt und etwas von uns will, können wir uns verteidigen.« Sie holte die Pistole aus dem Hosenbund und hielt sie Giselle vors
Weitere Kostenlose Bücher