1456 - Catwalk in die Hölle
noch kahlen Äste in den grauen Himmel.
Geschäfte gab es hier nicht. Wer hier hinzog, der wollte nur wohnen, und die Häuser selbst, die dicht an dicht standen, waren renoviert worden, sodass keine Farbe abblätterte.
Kleinere Firmen hatten hier ebenfalls ihren Sitz, denn es gab keine Hauswand, an der nicht mehrere Schilder mit den entsprechenden Namen angebracht worden waren.
Das Haus, in das Glenda hineingehen musste, lag direkt an der Parkseite. Ob es an der Rückseite einen Hof gab oder noch Anbauten, sah sie von vorn nicht, dafür schritt sie durch einen kleinen Vorgarten und dann die drei Stufen einer Treppe hoch.
Vor der Tür blieb sie einen Moment länger stehen, als es für einen Besucher üblich war. Sie merkte schon, dass ihr Herz schneller klopfte. Noch konnte sie zurück, aber das wollte sie sich nicht antun, und so legte sie die Kuppe ihres Zeigefingers auf den Klingelknopf.
Sie wunderte sich schon, dass auf dem Klingelbrett kein weiterer Name stand. War das Haus leer, abgesehen von der Modelschule?
Den Ton der Klingel hörte sie nicht, dafür aber eine weibliche Stimme, die aus den Rillen einer Sprechanlage drang.
»Sie wünschen?«
»Mein Name ist Glenda Perkins. Ich bin Reporterin beim Fashion Star und angemeldet bei…«
»Ja, ich bin informiert. Warten Sie einen Augenblick.«
»Gern.«
Bisher war alles harmlos, und Glenda verhielt sich auch weiterhin so, denn sie wusste nicht, ob sie nicht vom Auge einer winzigen Kamera beobachtet wurde.
Sekunden später erklang ein bekanntes Summgeräusch, und Glenda konnte die Haustür aufdrücken.
Ein breiter Flur nahm sie auf. Sie sah einen alten Gitterfahrstuhl: Eine Wendeltreppe war ebenfalls vorhanden und eine zweite Treppe an der linken Seite, deren Form keine Wendel aufwiesen. Vier breite Stufen musste Glenda hinaufgehen, bevor sie eine braune Tür erreichte, die von innen aufgezogen wurde. Eine Frau erschien.
»Bitte, kommen Sie, Glenda.«
»Danke.«
Glenda nahm die Stufen der kleinen Treppe und hatte Zeit genug, um sich die Frau anzuschauen, die sie erwartete. Sie war nicht groß.
Mehr klein und rund. Das Gegenteil eines Models. Das braune Haar bestand aus unzähligen Locken, die so leicht nicht gebändigt werden konnten. Im Gesicht fielen die hellrot geschminkten Lippen auf.
»Ich bin Elvira«, sagte sie und streckte Glenda die rechte Hand entgegen. »Herzlich willkommen.«
»Danke.«
Der Händedruck war recht kräftig, aber Glenda spürte auch die leichte Feuchtigkeit auf der Haut der Frau.
»Wollen Sie ablegen?«
»Gern.«
Ein Garderobenständer stand auf seinen fünf Beinen bereit. An ihm hingen zwei Jacken und ein Mantel. Ansonsten war die Umgebung völlig nüchtern eingerichtet. Hier gab es keinen Glamour, das hier war ein normales Büro.
An einer Wand waren zahlreiche Modezeitschriften in Regalbrettern zu sehen. An der gegenüberliegenden Wand hingen die Fotos zahlreicher Models.
»Mr Lucius wird gleich kommen. Haben Sie einen Moment Geduld. Ich könnte Ihnen einen Kaffee servieren oder eine Tee. Vielleicht auch etwas anderes…«
»Nein, nein. Keine Umstände bitte. Es wird ja wohl nicht lange dauern.«
»Bestimmt nicht.«
»Und Sie sagen zu Ihrem Chef Mr Lucius?«
Elvira lächelte etwas verlegen. »Ja, das sagen wir. Er möchte es so, und dagegen ist ja auch nichts einzuwenden.«
»Natürlich nicht.« Glenda schaute sich um. Sie fragte sich dabei, ob sie sich auch richtig verhielt, sodass man ihr die Reporterin abnahm. Neugierde gehörte dazu, und deshalb fragte sie: »Hier bilden Sie auch die Mädchen aus, nicht wahr?«
»Ja, wir haben hier sehr viel Platz, auch wenn es nicht den Anschein hat. Wir haben einen Catwalk, auf dem sie üben können, und ich muss ihnen sagen, dass die Agenturen mit den Mädchen, die sie von uns angeboten bekommen, höchst zufrieden sind. Beschwerden gab es bisher so gut wie keine. Da sind wir schon Spitze.«
»Und Mr Lucius sorgt selbst für die Ausbildung?«
»Auch, wenn ich das mal so sagen darf. In der Regel allerdings schauen zwei Lehrerinnen vorbei.«
»Sind sie heute auch da?«
»Nein, sie sind schon gegangen.«
»Verstehe.« Glenda lächelte. »Feierabend.«
»Für sie schon.«
»Auch für die Mädchen?«
»Nein, die sind noch hier. Zumindest einige von ihnen. Die Unverbesserlichen oder sehr Ehrgeizigen. Sie trainieren weiter. Einige von ihnen kommen auch nach ihrer normalen Arbeit noch her. Sie haben Berufe und wollen irgendwann mal den großen Sprung schaffen, aber ich
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