146 - Winterkrieger
Anblick. Dann wich er ehrerbietig zurück und deutete mit zuckenden Gesichtsmuskeln eine Verbeugung an.
Crow übersah den Mann. Er betrat das Gawlden Lyon, als gehöre es ihm, und Ayris stellte verblüfft fest, dass der Laden innen blitzsauber und unglaublich gut geheizt war.
Zu gut geheizt. Etwa ein Dutzend Gäste saßen oder standen mit stieren Blicken vor Wassergläsern, die sie nicht anrührten, und sprachen kein Wort.
Crow ging schnurstracks durch die Gaststube und begab sich an einen Ecktisch. Ayris folgte ihm, unbehaglich nach rechts und links sichernd. Die stummen, in ihre Gläser stierenden Gäste wirkten auf sie wie Untote. In was für einem merkwürdigen Lokal waren sie hier gelandet?
Ayris schüttelte sich. Natürlich waren ihr Mutationen nicht fremd. An der Oberwelt wimmelte es von Abnormitäten aller Art. Manche waren so schrecklich anzusehen, dass man Mitleid mit ihnen haben musste. Doch die hier wirkten alle wie aus einem Guss; als hätte man sie für einen bestimmten Zweck gemacht.
Schritte auf hölzernem Parkett. Aus der Tiefe des Raumes betrat ein Mann die Gaststube. Er sah aus wie Davy Crockett: groß, breitschultrig, zwischen dreißig und vierzig Jahre alt.
Neben dem üblichen Räuberzivil, in dem er sich von den Einheimischen nicht unterschied, trug er eine Mütze aus Skunkhörnchenfell.
Colonel Mountbatton? , dachte Ayris.
»Protokollaufzeichnung?«, fragte sie an Crow gewandt.
»Keine«, erwiderte der Präsident.
Der Colonel schaute Ayris an. »Ein hübsches Exemplar Ihrer Rasse haben Sie da mitgebracht, Präsident Crow.« Er sagte es seltsam emotionslos; eher wie eine Feststellung als wie ein Kompliment oder einen Scherz.
»Darf ich vorstellen?«, sagte Crow. »Captain Grover. Meine neue Adjutantin. Ich habe in letzter Zeit einen ziemlichen Verschleiß.«
»Freut mich, Sie kennen zu lernen, Colonel.« Ayris nickte
»Davy Crockett« zu. Rein äußerlich gefiel der Kerl ihr irgendwie, aber seine distanzierte Art erschien ihr seltsam.
Oder waren alle Britanier so?
Mountbatton nickte und wandte sich Präsident Crow zu, begann das Gespräch aber noch nicht, schien auf etwas zu warten.
Crow drehte sich halb zu ihr um. »Schauen Sie sich um, Captain, und behalten Sie die Tür im Auge. Ich rufe Sie, wenn ich fertig bin.«
»Jawohl, Sir!« Ayris stand auf, enttäuscht, dass sie dem Gespräch nicht beiwohnen konnte. Doch was hatte sie erwartet? Dass Crow sie in internationale Beratungen mit einbezog? Dieses Vertrauen musste sie sich erst noch verdienen.
Sie stand auf, trat an eines der Fenster und tat so, als schaue sie hinaus. Tatsächlich beobachtete sie in der Scheibe die unheimlichen Gäste, die sich wiederum keinen Deut um die Neuankömmlinge scherten.
Ayris gelangte zu der Überzeugung, dass die Gäste gar keine waren, sondern die von Crow erwähnte Leibgarde des ausländischen Colonels.
Sie musste nur geringfügig ihre Position verändern, um auch Crow und Mountbatton im gespiegelten Blick zu haben. Die beiden unterhielten sich mit ernsten Gesichtern. Worüber wohl?
Als die Idee zum ersten Mal durch Ayris’ Kopf schoss, verwarf sie sie empört gleich wieder. Den Präsidenten belauschen? Undenkbar!
Aber es wäre so einfach. Das Aufnahmegerät trug sie am Gürtel bei sich. Das Mikrofon konnte so empfindlich eingestellt werden, dass es Gespräche noch aus mehreren Metern Entfernung erfasste – zumal der Geräuschpegel in diese ungewöhnlich niedrig lag. Sie musste sich nur den Empfangsteil ins Ohr stecken und das Mikro einschalten, ohne die Aufnahmetaste zu betätigen…
Bevor ihr Gewissen erneut aufmucken konnte, hatte ihre rechte Hand bereits gehandelt. Mit der Linken schob sie sich den Knopfempfänger ins Ohr. Im tiefsten Inneren war Ayris entsetzt über sich selbst – was sie nicht daran hinderte, gespannt zu lauschen…
Gerade sagte Crow: »Mit der Vernichtung der Rochen hat ihr Volk einen wichtigen Bestandteil seiner Abwehr verloren. Ich schätze, unter diesen Umständen sind Sie zu gewissen Zugeständnissen bereit?«
Ayris erstarrte. Waren die Todesrochen nicht Schöpfungen der Daa’muren?
»Ich will nicht verhehlen, dass wir momentan einem gewissen Druck ausgesetzt und auf Ihre Mitarbeit angewiesen sind«, erwiderte Colonel Mountbatton. »Vielleicht machen wir tatsächlich ein kleines Zugeständnis – um Zeit zu sparen.«
»Ich verlange die Freilassung meiner Tochter Lynne!«
Mountbatton runzelte die Stirn. »Ich sprach von einem kleinen Zugeständnis,
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