1477 - Das steinerne Grauen
bedeckt. In den kleinen Augen lag trotz des glasigen Blicks ein Funkeln. Ich nutzte die Zeit und drückte die Tür wieder zu, wobei mich das Quietschen abermals störte, aber es war nicht anders zu machen.
»So, du wohnst also hier, Ernie?«
Er hustete und sagte dann: »Nur ab und zu. Das hier ist mein Reservelager, verstehst du?«
»Ja, sowohl als auch.«
»Richtig, das für mich und das für den Whisky. Aber tu mir einen Gefallen«, sagte er mit schwerer Stimme, »erzähle keinem davon. Ich weiß auch nicht, was du hier zu suchen hast. Hier kommt sonst eigentlich keiner her. Man hat die Fabrik vergessen…«
Bevor er seinen Kopf senkte und in eine tiefe Traurigkeit versinken konnte, stellte ich die nächste Frage.
»Vielleicht bin ich gar nicht wegen der alten Destille und wegen dir hergekommen.«
Ernie schaute wieder hoch. »Ach.«
»Ja, es gibt hier noch andere.«
»Stimmt, stimmt, John. Du hast recht«, brabbelte er. »Das sind die Hunde, die gefährlichen Hunde. Ich kenne sie.«
»Im Ernst?«
»Klar. Sie leben hier. Sind komische Hunde, aber auch gefährliche Biester. Sie sorgen dafür, dass sich kein Fremder herwagt.«
»Was ist mit dir?«
Er winkte ab. »Mich nehmen sie gar nicht wahr. Außerdem bin ich nicht immer hier.«
»Gibt es auch jemanden, dem sie gehorchen?«
Ernie nickte schwerfällig. »Sie heißt Jolanda. Ein verdammt scharfes Weib, kann ich dir sagen. Auch wenn sie angezogen ist, sieht sie fast nackt aus. Die ist geil auf ihre Hunde. Mich kennt sie auch, aber sie lässt mich in Ruhe, und ich kümmere mich auch nicht um sie.«
»Wo lebt sie denn?«
»Mal hier, mal da.«
»Aber auch hier in der Gegend?«
»Klar, in dem größten Haus hat sie es sich bequem gemacht. Aber nicht für immer. Sie ist auch oft in der Stadt. Und die kann mit ihren Kötern sprechen. Die gehorchen ihr. Die sind auf sie dressiert, und wer ihr dumm kommt, den zerreißen sie.«
»Aber dich nicht.«
»Nein, mich lassen sie leben. Ich an deiner Stelle würde schon achtgeben.«
»Danke für die Warnung.«
Ernie stieß pfeifend die Luft aus. »Willst du nicht doch einen Schluck? Ich kann dir auch eine neue Flasche holen. Es gibt genug davon, ehrlich.«
»Nein, darauf kann ich verzichten.«
»Schade, ist ein guter Tropfen.«
»Sicher. Und jetzt ist diese Jolanda auch da?«
»Klar.«
»Die Hunde ebenfalls?«
Er nickte wieder schwerfällig.
»Weißt du denn, wie viele es sind?«
»Vier kenne ich. Manchmal sind es auch mehr, glaube ich.« Er fing an zu kichern. »Aber dann sehe ich alles doppelt.«
In die Lage wollte ich nicht kommen. Ich machte ihm auch einen Vorschlag. »Ich glaube, dass es besser für dich ist, Ernie, wenn du in den nächsten Stunden hier in deinem Versteck bleibst.«
»Warum?«
»Es ist besser.«
Er hob seinen Kopf an. Er blinzelte, als er mich anschaute.
»Bist du wegen der Hunde und wegen der Frau gekommen?«
»Kann sein.«
»Dann viel Spaß, denn sie werden dich zerreißen, wenn sie dich nicht mögen.«
»Damit muss ich leben.«
»Und das Weib macht dich auch fertig, glaub mir.«
Ich wollte ihn noch etwas fragen, aber ich kam nicht mehr dazu.
Da es hier drinnen recht still und die Tür nicht geschlossen war, hörte ich von draußen ein bestimmtes Geräusch, das nur von Carlottas Flügeln stammen konnte.
Ich war sofort an der Tür.
Carlotta faltete soeben ihre Flügel zusammen. Ein Blick in ihr Gesicht sagte mir, dass sie keine besonders gute Botschaft brachte.
»Und?«
»Er wird gefährlich, John! Die Hunde sind frei…«
***
Maxine Wells bekam große Augen, als sich Jolanda rücklings auf den Boden legte. Die Tierärztin wusste nicht, was sie mit dieser steifen Haltung bezweckte, aber ihr war klar, dass Jolanda ihr etwas demonstrieren wollte.
Die Starre der Frau verschwand sehr schnell, aber sie bewegte dabei nur einen Körperteil. Sie hob leicht den Kopf an, um einen der Hunde anzuschauen. Die Dogge, die ihr am nächsten stand. Sie schnalzte mit der Zunge, und sofort erhob sich das Tier aus seiner Ruhelage.
Es schaute Jolanda an!
Die war sehr zufrieden, was sie Maxine auch sagte.
»Gib genau acht, was gleich geschieht. Du wirst erleben, wie Mensch und Tier sich wunderbar verstehen und so etwas wie eine Einheit bilden können. Ich würde sagen, dass es perfekt ist.«
»Gut.« Mehr konnte Maxine nicht sagen. Ihr eigenes Schicksal hatte sie für einen Moment vergessen. Jetzt gab es für sie nur noch den Blick nach vorn, und gespannt wartete sie darauf, was
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