1477 - Das steinerne Grauen
schneller heilen können, denn sie würden mir sagen, was sie haben und wo sich die Schmerzen befinden.«
»Klar, und ich müsste auch akzeptieren, dass deine Tiere andere Menschen töten.«
»Sicher. Aber sie töten nicht ohne Grund. Sie geben nur das zurück, was sie bekommen haben. So und nicht anders ist das zu sehen. Eigentlich ist es mir egal, was du über mich und meine Lieblinge denkst. Aber ich gebe dir Bedenkzeit. Es kann ja sein, dass du zur Vernunft kommst. Mich würde es freuen.«
Jolanda Gray legte den Kopf schief und schenkte ihr ein abwartendes Lächeln.
Maxine Wells glaubte noch immer, sich im falschen Film zu befinden. So ganz hatte sie sich an ihre Lage noch nicht gewöhnen können. Es war alles zu viel auf einmal gewesen. Auf der anderen Seite müsste sie zugeben, dass Jolanda die Hunde perfekt im Griff hatte.
Sie gehorchten nicht nur aufs Wort, sondern sogar auf ihre Blicke, und das war schon außergewöhnlich. Als Tierärztin wusste sie das.
»Du suchst nach Worten, Maxine?«
»Ich denke nur nach.«
»Worüber?«
»Gewisse Dinge sind mir unklar.«
»Welche?«
»Ich habe etwas erlebt, das bei mir Fragen aufwirft. Es ging um den Angriff auf Ellen Green.«
»Und?«
»Der Hund tat plötzlich nichts mehr. Er war erstarrt. Man hätte auch sagen können, dass er zu Stein geworden war. Oder so ähnlich.«
Jolanda schaute ihre Gefangene in den nächsten Sekunden nur an, ohne ein Wort zu sagen. Schließlich kicherte sie wie ein kleines Mädchen und schlug sogar die Hand vor ihren Mund.
»Ja, du hast recht. Daran habe ich gar nicht mehr gedacht. Aber es stimmt, mein Liebling hat sich nicht mehr gerührt.« Nachdenklich nickte sie. »Ja, ja, das ist…«
»Was ist es?«
»Hypnose!«
Dieses eine Wort ließ Maxine Wells starr werden. So starr, als hätte sie sich selbst in diesen Zustand versetzt, und tatsächlich war es wie eine kalte Dusche gewesen.
»Du glaubst mir nicht?«
»Der Hund war wie aus Stein!«
»Das weiß ich.«
»Und weiter?«
Jolanda konnte wieder lächeln. Sie räkelte sich auf ihrem Stuhl.
Dann fing sie damit an, sich auszuziehen. Sie legte die Kleidung normal ab und nicht wie eine Striptease-Tänzerin.
Nackt war sie darunter nicht. Sie trug die Klamotten, die Maxine schon kannte.
»Und jetzt gib genau acht«, flüsterte sie…
***
Es war ein gutes, wenn auch fremdes Gefühl für mich, durch die Luft zu schweben. Ein Gefühl der Leichtigkeit und Freiheit erfasste mich. Es machte Carlotta offenbar nichts aus, dass ich auf ihrem Rücken lag. Sie konnte trotzdem ihre Flügel frei bewegen, was ich mehr hörte als sah, denn das Rauschen erfüllte meine Ohren und der Flugwind strich durch mein Gesicht.
Die Verspätung meines Fliegers kam mir jetzt irgendwie zugute, denn wir hatten nicht lange bis zum Anbruch der Dunkelheit warten müssen, um losfliegen zu können.
Carlotta hatte mir zuvor die Flugstrecke erklärt. Ich wusste also, wie wir flogen. Es war der Weg über die Dächer der Häuser hinweg, die Carlotta kannte. Wir würden uns auch den Wendehammer anschauen. Dabei war es wichtig, dass man uns nicht zu Gesicht bekam. Carlotta lenkte unseren Flug also so, dass wir in der Luft kaum auffielen, und zu viele Menschen befanden sich nicht außerhalb ihrer Häuser. Die Grillzeit war vorbei, und so wirkten die Wohnsiedlungen zu dieser späten Tageszeit doch sehr leer.
Und wer sich dennoch im Freien aufhielt, der schaute nicht unbedingt in die Höhe. So erreichten wir ungesehen unser erstes Ziel, das wir abgesprochen hatten.
Über den Wendehammer flogen wir noch hinweg, dann drehte Carlotta, und wenig später sanken wir dem Erdboden entgegen. Wir landeten nicht direkt im Wald. Das wäre etwas problematisch gewesen, auch wenn die Bäume nicht besonders dicht standen. Dort, wo er an den Wendehammer grenzte, sanken wir dem Boden entgegen.
Ich rutschte von Carlottas Schultern und atmete tief durch, als ich wieder festen Boden unter meinen Füßen spürte.
»Wie hat es dir gefallen, John?«
»Es war wie immer toll. Ich habe mich fast wie Ikarus gefühlt.«
»Nur ist bei dir nichts geschmolzen.«
»Stimmt.«
Von unserem Standort aus konnten wir in die Straße schauen.
Zwei Autos fuhren in unsere Richtung.
Sie wendeten, und ihre Fahrer sahen uns nicht, da wir uns in Deckung begeben hatten.
»Hier ist es also passiert«, stellte ich fest.
Carlotta nickte. Dabei schaute sie auf die Heckleuchten der beiden Fahrzeuge. Sie deutete auf einen bestimmten Punkt. Dann
Weitere Kostenlose Bücher