1482 - Clarissas Sündenfall
meine Gedanken drehen sich unablässig darum.«
»Wir werden sie fragen.«
Jane lachte. Ich erkundigte mich nach dem Grund und hörte ihre Antwort. »Wenn es tatsächlich so sein sollte, dann musst du auch damit rechnen, dass die Schwestern nicht mit offenen Karten spielen. Davon gehe ich aus.«
»Warum?«
»Sie halten zusammen. Da wird keine die andere verraten.«
»Auch nicht bei Mord?«
»Ich schließe nichts aus.«
Danach sagte Jane nichts mehr. Sie ließ mich fahren. Wir rollten durch ein menschenleeres Gebiet und sahen nicht mal Schafe oder Rinder auf den Weiden.
Von der normalen Straße waren wir abgebogen. Der Weg zum Kloster war zum Glück trocken. Bei Regen würde er sich bestimmt in eine Schlammbahn verwandeln, denn er war nicht asphaltiert.
Ich wunderte mich etwas über Janes Schweigen. Wahrscheinlich hatten meine Worte sie nachdenklich gemacht.
Auch in den folgenden Minuten hielt sich die Detektivin mit einem Kommentar zurück, bis wir eine Senke verlassen hatten und eine Rechtskurve fuhren. Da streckte sie ihren Arm aus und rief:
»Dort ist es!«
Plötzlich lag das Kloster vor uns. Enttäuscht war ich nicht, denn ein zu großes und mächtiges Gebäude hatte ich nicht erwartet. Vor uns lag ein Bau, der wie ein Herrenhaus wirkte, obwohl sich in den Mauern keine großen Fenster befanden, sondern mehr kleine Vierecke, die alle gleich waren.
Etwas anderes fiel uns noch auf. Dazu brauchten wir nicht mal sehr nahe an das Haus heranzufahren.
Es waren vier Motorräder, die in der Nähe der Eingangstür standen.
»He«, sagte Jane, »die kenne ich doch.«
»Woher?«
»Das sind die Maschinen von den Rockertypen, die durch Thorpe gefahren sind. Das ist ja ein Ding.«
»Fragt sich nur, was die Typen im Kloster wollen.«
»Bestimmt nicht beichten.«
»Da denke ich auch.«
»Und was denkst du überhaupt?«
»Erst mal nichts. Ich kann mir nur vorstellen, dass wir bald eine Aufklärung bekommen werden.«
Ich ließ den Wagen ausrollen und parkte ihn neben den Maschinen der Rocker. Dass sie hier standen, war für Jane und mich schon eine Überraschung, denn damit hätten wir niemals gerechnet. Rocker in einem Kloster, das passte irgendwie nicht zusammen. Da konnte man nur den Kopf schütteln. Aber wir würden sehen.
Jane war schon vorgegangen. Sie stand am Eingang und ich schaute auf ihren Rücken. Ich ging langsamer auf das Kloster zu und ließ dabei die Fenster nicht aus den Augen. Wenn uns jemand gesehen hatte, dann würde er bestimmt schauen, aber da bewegte sich nichts. Auch die Tür wurde nicht geöffnet.
Ich sah, dass Jane die Stirn in Falten gelegt hatte, als sie mir den Kopf zudrehte. Sie sah aus wie jemand, der stark nachdachte.
»Ich werde mich mal bemerkbar machen«, sagte sie.
»Tu das.«
Sie drückte den Klingelknopf. Wir hörten keinen Glockenklang.
Die Mauern waren einfach zu dick. Es öffnete auch niemand sofort, und wir mussten uns in Geduld fassen.
»Will man keine Notiz von uns nehmen?« fragte Jane.
»Ich versuche es noch mal.«
»Okay. Sonst werden wir mal an der Rückseite nachschauen. Ich habe das Gefühl, dass es dort einen Garten gibt. So ist das in den meisten Klöstern.«
»Einverstanden.«
Wir mussten uns nicht auf den Weg machen, denn jemand öffnete.
Allerdings nicht die Tür, sondern eine Klappe in Augenhöhe, und dann schauten wir in das Gesicht einer Frau, das unter der Nonnenhaube irgendwie maskenhaft wirkte.
Uns fiel der unruhige und fast ängstliche Blick auf. Die Lippen zuckten, erst dann hörten wir ihre Frage.
»Bitte, Sie wünschen?«
Ich wollte erst gar keine Ausreden benutzen. Den Ausweis hielt ich schon in der Hand. Ich hob ihn so hoch, dass die Nonne ihn sich anschauen konnte.
»Was ist das?«
»Polizei«, sagte ich und lächelte dabei. »Scotland Yard. Ich heiße John Sinclair, und das ist meine Kollegin Jane Collins.«
Die Schwester verdrehte die Augen, um sich Jane anschauen zu können. Dann nickte sie, denn sie schien mit Janes Anblick durchaus zufrieden zu sein.
»Und weshalb wollen Sie zu uns?«
»Es geht um eine Ihrer Schwestern.«
»Aha. Um welche denn?«
»Darüber möchten wir gern mit ihr persönlich reden.«
Sie überlegte. Ich sah, dass sich auf der Stirn schmale Falten bildeten.
»Im Moment ist es schlecht. Können Sie nicht später noch mal kommen? Da wäre ich Ihnen sehr verbunden.«
Ich wunderte mich über die Antwort, aber ich konnte sie auch irgendwie verstehen, denn ich hatte die Unsicherheit oder auch die
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