1484 - Der Teufel von Venedig
Glocke war laut genug, um gegen die Musik anzukämpfen, und wir waren gespannt, wer uns die Tür öffnen würde.
Zunächst mal passierte nichts. Orbino wollte sich schon ein zweites Mal melden, als die Tür endlich nach innen schwang. Wir sahen uns einem Mann gegenüber, der einen dunklen Anzug im Mao-Look trug. Die Jacke war geschlossen bis zum Hals. Dieser Typ schien sich von der Vergangenheit noch nicht befreit zu haben. Hochnäsig schaute er uns an und fragte mit leicht verschnupft klingender Stimme: »Sie wünschen?«
Orbino übernahm die Antwort. »Sind Sie hier der Chef?«
»Nicht direkt.«
»Dann wollen wir zum Chef.«
Er schniefte. »Signora Amalfi?«
»Genau die.«
»Sie ist beschäftigt.«
»Das sind wir auch«, erklärte Orbino und zeigte seinen Ausweis.
»Wir können auch anders. Wäre es nicht dringend, würden wir nicht stören. Und jetzt geben Sie bitte den Weg frei.«
Der arrogante Pinsel überlegte nicht mehr. Er trat tatsächlich zur Seite, sodass wir das Haus endlich betreten konnten.
Ein breites Entree. Wertvoller Marmor an den Wänden und als Fußboden. Die Steine hatten einen rötlichbraunen Glanz und waren mit hellen Einschlüssen durchzogen. Bei den Wänden reichten sie nicht hoch bis zur Decke, sondern nur bis zur Kopfhöhe eines normal gewachsenen Menschen. Darüber gab es freie Flächen, an denen einige Bilder hingen, die sehr groß waren und in kostbaren Rahmen steckten.
Eine Freitreppe aus Marmor führte hoch zu einem Saal, aus dem auch die Musik klang. Der Typ ging vor und trat auf eine weit geöffnete Doppeltür zu.
Uns gelang ein Blick in den Saal, in dem tatsächlich getanzt wurde. Junge Frauen übten sich in den verschiedensten Ballettposen.
Eine gesamte Wandbreite war mit Spiegeln bedeckt, sodass jede Bewegung brutal wiedergegeben wurde.
Ein Klavier stand auch bereit. Dahinter saß ein junger Mann und spielte Melodien, nach denen sich die Schülerinnen bewegten, wobei sie stets in der Nähe einer Stange blieben.
Beobachtet wurden sie von einer Frau. Der Meisterin oder auch der Zuchtmeisterin, denn in ihrem dunklen Hosenanzug wirkte sie auf mich so. Ob das blonde Haar echt oder gefärbt war, interessierte mich nicht. Sie hatte es hochgesteckt und an der Rückseite des Kopfes mit Kämmen festgesteckt.
Vor der Stange mühten sich etwas ein Dutzend junger Frauen oder Mädchen ab. Die Musik hatte gewechselt, es gab keine Melodie mehr, nur noch einen harten Rhythmus, nach dem sich die Elevinnen bewegen mussten, und das war nicht so perfekt, wie die Zuchtmeisterin es sich vorstellte. Sie hatte ihrer Stimme einen scharfen Klang gegeben. Damit hätte sie auch auf einen Kasernenhof gepasst.
Sie musste uns in der Spiegelwand gesehen haben. Aber sie reagierte nicht, und auch der arrogante Typ sprach sie nicht an. Er blieb im Hintergrund stehen und wartete ab.
»Gleich schieße ich in das Klavier!« flüsterte Orbino.
»Aber lassen Sie die Frau in Ruhe. Das könnte Ärger geben.«
»Kann sein, John.«
»Kennen Sie die Person?«
»Das ist schwer zu sagen. Wenn mich nicht alles täuscht, dann ist sie Amalfis Schwester.«
»Nicht seine Frau?«
»Nein.«
»Ist er denn verheiratet?«
»Keine Ahnung. Ich glaube, er war es mal. Aber ich muss Ihnen ehrlich sagen, dass er in der letzten Zeit aus den Schlagzeilen verschwunden ist.«
»Stand früher mal mehr über ihn in der Presse?«
»Und ob. Seine Feste waren berühmt und berüchtigt zugleich. Besonders zu Karneval. Wer da mitmachte, der musste seine Moral an der Garderobe abgeben. Zu einer gewissen Zeit ging es dort immer verdammt wild zu. Da blieb kein Auge trocken.«
»Orgien?«
»Durchaus. Aber die Gesellschaft war geschlossen, und man ließ nichts nach außen dringen. Es gab nur Gerüchte.«
»Welcher Art?«
Orbino senkte den Kopf und überlegte. »Jetzt, wo Sie mich so direkt fragen, fällt es mir wieder ein. Man hat mal von Schwarzen Messen gesprochen und von Kontakten mit der Hölle.«
»Das ist ja eine völlig neue Variante.«
»Si.«
»Und sie passt«, sagte Suko.
Der Commissario wechselte das Thema. Da der Gondoliere die Leiche recht gut beschrieben hatte, war sie mit den Bildern der Verschwundenen verglichen worden. Es war nicht Virna, die Freundin unseres Kollegen, diese Frau hieß Laura.
»Nach ihr werde ich mich erkundigen«, sagte Orbino. »Mal sehen, was die Amalfi dazu zu sagen hat.«
Sie sagte im Moment nichts. Sie klatschte nur sehr laut in die Hände. Genau darauf hatten der Klavierspieler und
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