1491 - Im Schloss der Hexen
Tischplatte. »Ja, und ich denke dabei auch an sein Kreuz.«
Beide legten eine Schweigepause ein, aber ihre Gedanken drehten sich um das gleiche Problem. Sollten sie ihren Freund in London benachrichtigen oder nicht?
»Der Markt hier schließt erst in einigen Tagen«, murmelte Dagmar. »Es ist demnach noch Zeit genug, finde ich. Wir sollten es versuchen.«
»Ja, wir sollten ihm zumindest einen Bericht geben und…«
Harry Stahl wurde unterbrochen, denn Marion Jäger meldete sich.
Sie hatte ihre Stimme nicht mehr in der Gewalt. Dagmar und Harry mussten schon genau hinhören, um die Worte zwischen den einzelnen Schluchzgeräuschen zu verstehen.
»Nie wieder – niemals sehe ich Julia wieder. Mein Gott, sie ist verbrannt!«
Dagmar gab ihr die Antwort, und sie wollte der Frau damit Mut machen. »Ich denke, da irren Sie sich. Ihre Tochter…«
Marion Jäger riss den Kopf hoch. »Aber ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen!« schrie sie. »Ja, verflucht, ich sah das Feuer, das beide erwischt hat und…«
»Es muss kein normales Feuer gewesen sein«, sagte Harry.
»Wieso?« Marion Jäger starrte ihn an. Sie zog dabei einige Male die Nase hoch. »Kein normales Feuer?«
»So ist es.«
»Was – was – dann?«
»Ich würde von einem Hexenfeuer sprechen. Das brennt, ohne Hitze zu verbreiten und Rauch abzugeben.«
Damit konnte Marion Jäger nun nichts anfangen. Sie schüttelte den Kopf und behielt ihren Blick dabei trotzdem starr auf Harry Stahl gerichtet.
»Was erzählen Sie denn da? Feuer ist Feuer! Oder wollen Sie mich für dumm verkaufen?«
»Keineswegs, Frau Jäger, keineswegs.«
»Dann erzählen Sie doch so etwas nicht, verdammt noch mal. Sie bringen mich noch mehr durcheinander.« Stoßweise holte sie Luft und stieß sie ebenso heftig wieder aus. »Es tut mir leid, aber ich glaube, Sie wollen sich über mich lustig machen.«
»Das wäre das Letzte«, sagte Harry nur.
»Warum tun Sie das denn?«
Dagmar übernahm die weitere Gesprächsführung.
»Bitte, Frau Jäger, Sie müssen meinem Partner glauben. Die Dinge liegen nun einmal so. Daran können Sie nicht rütteln. Ich sage mal so: Es gibt außerhalb der Welt, in der wir uns befinden, noch unzählige andere. Man kann sie auch Dimensionen nennen. Und Ihre Tochter ist in eine dieser Dimensionen verschleppt worden. So sehen wir es.«
Marion Jäger schüttelte den Kopf. »Aber ich habe doch das Feuer gesehen! Ja, das verdammte Feuer. Es ist über Julia hinweggerast. Auch Sie müssen es gesehen haben.«
»Stimmt genau, Frau Jäger. Aber es ist nicht nur über Julia hinweggerast, sondern auch über die Hexe.«
»Ich weiß.«
»Glauben Sie denn im Ernst, dass die Hexe in ihrem eigenen Feuer verbrennt? Dass sie das Feuer schickt, um sich selbst zu töten? Nein, das auf keinen Fall.«
Marion Jäger sah aus, als stünde sie neben sich. »Ich weiß gar nichts mehr. Ich denke nur an Julia.«
»Sie müssen sich aber mit beiden Personen beschäftigen. Die Hexe hat sich Julia ausgesucht, aber nicht, um sie zu töten. Das müssen Sie mir glauben.«
»Was soll ich denn anderes denken?«
»Gute Frage, Frau Jäger.«
»Und die Antwort?«
»Die bekommen Sie von mir«, sagte Harry Stahl. »Märchen und Hexen gehören zusammen. Nicht immer, aber manchmal. Sie bilden eine Einheit. Denken Sie an die Geschichten. Hexen holen sich gern Kinder und…«
»Nein!« schrie die Frau, »nicht und Sie holen sich Kinder, um sie zu töten. Das weiß ich. Auch mir wurden früher Märchen erzählt, und nicht wenige habe ich behalten. Da sind die Kinder von den Hexen…« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich will nicht mehr darüber sprechen und auch nicht mehr daran denken. Das ist einfach zu grauenhaft.«
Dagmar und Harry nickten sich zu. Was Marion Jäger sagte, war nur zu verständlich.
Als Harry wieder auf das Fenster schaute, spürte er, dass die heiße Wut in ihm hochstieg. Er sah nichts, aber er wusste, dass dieses Viereck mit einer mörderischen Magie gefüllt war.
Was tun?
»Ich gehe mal raus«, sagte er zu Dagmar.
»Und warum?«
»Telefonieren.«
»Mit London?«
Harry Stahl nickte nur…
***
Für Suko und mich war es der Abend der Frustrationen, als wir wieder ins Büro zurückkehrten. Da Glenda bereits nach Hause gegangen war, wirkte es ziemlich verlassen. Aber der Hauch ihres Parfüms hing noch in der Luft, vermischt mit dem Aroma des Kaffees.
Diesmal kochte ich mir die braune Brühe selbst. Suko telefonierte mit Shao und erklärte ihr, dass es
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