15 Gruselstories
Papiermache-Industrie.
Ich sah nichts dergleichen. Was ich sah, war das nackte Grauen. Zuerst dachte ich, es wäre das Gesicht eines Kindes. Aber nein, das stimmte nicht, nicht das Gesicht eines Kindes, sondern eines Mannes mit einer kindlichen Seele. Vielleicht war es das glatte, ruhige Gesicht eines Poeten. Lange Haare umrahmten eine hohe Stirn, halbmondförmige Augenbrauen wölbten sich über den geschlossenen Lidern. Die Nase und der Mund waren schmal und edel geschnitten. Von dem ganzen Gesicht ging ein überirdischer Friede aus. Man konnte fast meinen, einen Schlafwandler vor sich zu haben. Aber dann wurde das Gesicht größer und der Mondschein heller, und ich sah – mehr.
Die Spuren der Vergänglichkeit zeichneten sich deutlich ab. Die dünnen Lippen waren von Würmern angefressen, die Nasenlöcher waren ausgefranst, und Teile der Stirn waren der Fäulnis zum Opfer gefallen und durchlöchert. Das schwarze Haar war stumpf und mit Schlamm verkrustet, und auf den eingefallenen Wangen zeichneten sich dunkle Schatten ab.
Die fleischlosen Arme hoben sich jetzt, und die Knochenfinger strichen über diese toten Narben. Dann flatterten die vermoderten Lider, und – die Augen öffneten sich.
Sie waren groß, starr und lodernd – und in ihnen war das Grab. Es waren Augen, die sich beim Tod geschlossen und sich im Sarg unter der Erde wieder geöffnet hatten. Diese Augen hatten gesehen, wie der Körper langsam verfaulte und die Seele entschwand. Diese Augen hatten ein eigenes Leben weitergeführt, das so furchtbar gewesen sein mußte, daß sie den halbverfaulten Körper zwangen, das Grab wieder zu verlassen. Es waren hungrige Augen, die jetzt triumphierten, als sie auf das Mondlicht über dem Friedhof starrten. Sie hungerten nach der Welt, wie nur ein Toter nach dem Leben hungern kann. Und sie loderten mit eisiger Freude in dem totenblassen Gesicht.
Dann setzte sich die Leiche in Bewegung. Sie taumelte zwischen den Gräbern, stolperte über alte Steinplatten und stieß gegen morsche Holzkreuze. Sie schlurfte durch den nächtlichen Wald, bis sie die Straße erreicht hatte. Dann schlich sie unendlich langsam diese Straße entlang.
Und als die Lichter der Stadt unten aufleuchteten, leuchtete auch der Hunger in diesen Augen wieder auf. Der Tod war im Begriff, sich unter die Lebenden zu mischen.
Ich saß die ganze Zeit über wie versteinert da. Obwohl das Ganze nur ein paar Minuten gedauert hatte, glaubte ich, daß unzählige Jahre verstrichen wären.
Der Film ging weiter. Les und ich wechselten kein Wort, aber wir schauten weiter zu.
Der nun folgende Ablauf der Handlung war nichts weiter als eine einfache Routinesache. Der Tote war ein Naturwissenschaftler gewesen, dem ein junger Arzt seine Frau weggenommen hatte. Als der Naturwissenschaftler krank wurde, hatte ihn der junge Arzt behandelt und ihm unwissentlich ein zu starkes Betäubungsmittel gegeben, das den Tod zur Folge hatte.
Der Dialog war in einer fremden Sprache, die ich nicht verstand. Alle Schauspieler waren mir unbekannt. Die Aufmachung und Kameratechnik war reichlich ungewöhnlich und die ganze Handlung so unglaubwürdig wie in ›Das Kabinett des Dr. Caligari‹ und anderen Filmen dieser Art.
Es folgte dann eine Szene, in der der lebendig-tote Mann bei einer Schwarzen Messe zum Hauptpriester der Zeremonie ernannt wurde. Man reichte ihm ein kleines Kind … Seine Augen, als er mit dem Messer zustach …!
Er blieb während des ganzen Films die halbverfaulte Leiche … Die Anhänger der Schwarzen Messe betrachteten ihn als einen Sendboten des Satans … Als Opfer für seine Wiederauferstehung entführten sie seine Frau …
Dann sah man, wie seine Frau einen
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