15 Gruselstories
mir einen Schock, und ich bekam so etwas wie Mitleid mit ihm. Er verstand eben doch nicht. Ich weiß genau, wie es ist, wenn Henoch auf seine Art flüstert. Erst schmeichelt er, dann bittet er, dann fordert er – und dann droht er.
»Es wäre besser für Sie, wenn Sie ihm gehorchten«, sagte ich zu Mr. Cassidy. »Hat er Ihnen gesagt, wen Sie töten sollen?«
Mr. Cassidy schien überhaupt nicht zu hören, was ich sagte. Er weinte nur ununterbrochen. Dann holte er die Gefängnisschlüssel hervor und öffnete die Zelle, die neben meiner lag. Er trat ein und verschloß die Zelle von innen.
»Ich will es nicht«, schluchzte er. »Ich will es nicht! Ich will es nicht …«
»Was wollen Sie nicht?« fragte ich.
»Ich will Dr. Silversmith nicht in seinem Hotelzimmer umbringen und Henoch den Kopf geben. Ich werde hier in der Zelle bleiben! Hier bin ich sicher! Oh, du Ungeheuer, du – du Teufel –«
Er ließ sich stöhnend fallen. Ich sah ihn durch die Gitterstäbe, die unsere Zellen trennten. Er saß gekrümmt auf dem Fußboden und zerrte an seinen Haaren.
»Sie müssen es einfach tun!« schrie ich. »Sonst tut Ihnen Henoch etwas an! Bitte! Mr. Cassidy – bitte! Beeilen Sie sich!«
Ein Stöhnen entrang sich Mr. Cassidys Brust. Dann wurde er ohnmächtig.
Ich nahm jedenfalls an, daß er ohnmächtig wurde, denn er sagte nichts mehr und bewegte sich auch nicht mehr.
Ich rief seinen Namen, aber er antwortete nicht.
Was sollte ich da machen? Ich saß in einer dunklen Ecke meiner Zelle und starrte in das Mondlicht, das Mondlicht, das Henoch immer wild machte.
Dann fing Mr. Cassidy an zu schreien. Nicht laut. Es kam tief und gurgelnd aus seiner Kehle. Er rührte sich überhaupt nicht. Er schrie nur immer.
Henoch mußte sich jetzt das von ihm nehmen, was er haben wollte. Was hatte es für einen Sinn, hinzuschauen? Ich konnte Henoch nicht mehr aufhalten. Aber ich hatte Mr. Cassidy gewarnt.
Ich saß erstarrt in meiner Ecke und preßte die Hände gegen die Ohren, bis alles vorbei war.
Dann schaute ich wieder auf. Mr. Cassidys Körper lag immer noch gekrümmt an den Gitterstäben.
Es war kein Laut zu hören.
Doch nein – das stimmte nicht! Es war etwas zu hören!
Ein Schnurren. Ein leises, weit entferntes Schnurren. Henoch schnurrte immer, wenn er eine Mahlzeit zu sich genommen hatte. Dann hörte ich ein seltsames und doch vertrautes Scharren. Ich wußte, daß es von Henochs Klauen herrührte. Er pflegte freudig zu hüpfen und umherzutollen, wenn er satt war.
Das Schnurren und Scharren drang direkt aus dem Inneren von Mr. Cassidys Kopf.
Es konnte also kein Zweifel bestehen, daß es wirklich Henoch war. Und er war jetzt glücklich.
Ich war auch glücklich.
Ich langte mit der Hand durch die Gitterstäbe und zerrte die Gefängnisschlüssel aus Mr. Cassidys Tasche. Ich öffnete meine Zellentür und war wieder frei.
Da Mr. Cassidy davongegangen war, hatte ich auch keine Veranlassung, hier länger zu bleiben.
Und Henoch würde auch nicht bleiben wollen.
Ich rief ihn.
»Hierher, Henoch!«
Das war das erste und einzige Mal, daß ich irgendwie etwas von Henoch zu sehen bekam. Ich sah eine Art weißen Strich, der aufblitzend aus dem großen roten Loch hervorschoß, das er in Mr. Cassidys Hinterkopf gefressen hatte.
Dann fühlte ich, wie das federleichte, kalte, schlaffe Gewicht wieder auf meinem eigenen Kopf landete.
Und ich wußte, daß Henoch heimgekommen war.
Ich ging langsam den Korridor entlang und öffnete die äußere Gefängnistür. Henochs kleine Füße trippelten dicht über meinem Gehirn.
Wir gingen zusammen in die Nacht hinein. Der Mond schien, alles war ruhig, und ich konnte Henochs zufriedenes, stillvergnügtes Kichern an meinem Ohr hören.
Rückkehr zum Sabbat
Ich kenne keinen meiner Kollegen, der so eine
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