15 Gruselstories
Sie war wirklich da und doch nicht leibhaftig da.« Er schaute auf das Glas in seiner Hand. »Wie ein verwässerter Whisky.«
Der Vergleich mochte stimmen, aber irgend etwas stimmte mit der ganzen Geschichte nicht. Ich glaube, der größte Fehler lag an unserer Zeit. Er hätte mir vor fünfzig Jahren mit dieser Geschichte kommen sollen.
Vor fünfzig Jahren wäre mir das alles vielleicht doch nicht ganz so abwegig vorgekommen. Damals glaubten die meisten Leute noch ah die Existenz von Geistern; und selbst ein so berühmter Psychologe wie William James betätigte sich aktiv bei der Gesellschaft zur Seelenforschung‹. Damals war man sehr empfänglich für die sentimentale Vorstellung von einer unsterblichen Liebe, von der Möglichkeit, mit den Toten Verbindung aufzunehmen und dergleichen. Aber heute waren solche Geschichten fehl am Platz.
Mich hielt nur eins davon ab, diese Gedanken auszusprechen, und das war Joe Elliot selbst. Er war ein eingefleischter Skeptiker und gefürchteter Spötter.
Es war natürlich möglich, daß er durch Donnas Tod einen Schock erlitten hatte, aber –
»Spare dir deine Worte«, seufzte er. »Ich weiß selber, wie versponnen und verrückt das Ganze klingt, und ich weiß genau, was du denkst. Ich will mich nicht mit dir darüber streiten. Es ist wahr, daß mich der Unfall ganz schön mitgenommen hat. Ich bestreite auch gar nicht, daß ich einen Schock erlitten habe, als sie mich aus dem Autowrack gezogen haben. Aber den hatte ich noch vor der Beerdigung überwunden. Das kannst du mir glauben. Und wenn du es nicht glaubst, dann kannst du es dir von Dr. Foster bestätigen lassen.«
Jetzt war ich an der Reihe zu nicken.
»Ich war während der Beerdigung und danach völlig in Ordnung«, fuhr er fort. »Wir haben uns seitdem fast jeden Tag gesehen. Hast du das Gefühl, daß mit meinem Kopf irgend etwas nicht stimmt?«
»Nein.«
»Dann kann ich mir das Ganze auch nicht einbilden.«
»Was soll es aber bedeuten?«
Er stand auf. »Ich weiß es nicht«, sagte er achselzuckend. »Ich wollte dir nur erzählen, was passiert ist. Denn das ist eine von den Geschichten, die man irgendwo loswerden muß. Und dann am gescheitesten bei einem Menschen, der logisch denken kann. Bei dir kann ich mich auch darauf verlassen, daß du die Geschichte nicht herumtratschst. Und noch etwas anderes: Du bist ihr Bruder. Es kann sein, daß – sie zu dir auch kommt.« Elliot wandte sich zur Tür. »Willst du schon gehen?« fragte ich.
»Ich bin müde«, murmelte er. »Ich habe gestern – danach nicht viel geschlafen.«
»Ich habe Schlaftabletten hier. Möchtest du eine haben?«
»Nein danke, lieber nicht.« Er öffnete die Tür. »Ich rufe dich morgen vielleicht an. Wir können dann zusammen essen.«
»Bist du sicher, daß es dir …«
»Ja, es geht mir gut.« Er lächelte und ging.
Ich blickte vor mich hin und runzelte die Stirn.
Als ich am Abend Schlafengehen wollte, runzelte ich immer noch die Stirn. Irgend etwas stimmte ganz gewiß nicht an Elliots Geschichte; und das bedeutete, daß irgend etwas mit Elliot nicht stimmen konnte. Ich wünschte, ich wüßte die Antwort.
»Es könnte sein, daß – sie zu dir auch kommt.«
Ich wälzte mich unruhig von einer Seite auf die andere, denn der Mond schien auch heute so hell. Ich schloß die Augen und versuchte nachzudenken.
Meine Schwester Donna war tot und begraben. Ich habe sie zwar nicht sterben sehen, aber ich war der erste, den die Polizei hatte rufen lassen, als sie den Unfall entdeckte. Ich hatte gesehen, wie man sie aus dem zerbeulten Auto herausgezogen hatte. Und sie war tot gewesen. Darüber konnte kein Zweifel bestehen. Ich dachte nicht gerne daran, wie sie damals ausgesehen hatte. Und ich dachte auch nicht gerne daran, wie Joe Elliot damals ausgesehen hatte. Er hatte
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