15 Gruselstories
abgemagert und hatte nervöse Zuckungen.
»Was ist denn um Gottes willen mit dir passiert?«
»Nichts. Gar nichts.«
»Rede keinen Unsinn! Was hat denn Patridge gesagt?«
Er grinste. Wenn ich sage, daß das Grinsen verzerrt war, dann ist das sehr milde ausgedrückt. Wenn man mit der Hand über sein Gesicht gefahren wäre, hätte man sich die Haut aufgerissen.
»Patridge«, wiederholte er murmelnd. Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: »Setz dich und trink einen.«
»Gut, gut – aber nur, wenn du weiterredest. Ich habe dich etwas gefragt: Was hat Patridge gesagt?«
Er schenkte mir ein. Da ich Gast war, bekam ich ein Glas. Er selbst nahm die Flasche an den Mund. Nachdem er einen kräftigen Zug getan hatte, setzte er die Flasche hart auf den Tisch. »Patridge kann nichts mehr sagen«, murmelte er mit leerem Blick. »Denn Patridge ist tot.«
»Nein!«
»Doch.«
»Wann ist denn das passiert?«
»Vor einem Monat etwa.«
»Und warum bist du nicht zu einem anderen Irrenarzt – ehm – ich meine Psychiater gegangen?«
»Damit der meinetwegen auch noch aus dem Fenster springt, wie?«
»Was soll das heißen?«
Joe griff wieder nach der Flasche. »Das möchte ich auch wissen.« Er trank gierig. »Ich persönlich glaube auch gar nicht, daß er gesprungen ist. Vielleicht wurde er hinausgestoßen.« Er nahm wieder einen kräftigen Zug und rülpste vernehmlich.
»Willst du mir vielleicht erzählen … ?«
»Ich will dir gar nichts erzählen«, stieß er heftig hervor. »Ich sage dir nur das, was ich auch Dr. Foster und den Burschen in der Redaktion gesagt habe. So eine Geschichte kann man keinem Menschen erzählen. Man muß sie für sich selber behalten. Man kann sie höchstens der Flasche anvertrauen.« Er trank.
»Aber du hast doch gesagt – ich meine, ich hatte den Eindruck, daß alles wieder in Ordnung kommen würde.«
»Das stimmt auch. Es ließ sich so gut an – bis zu einem bestimmten Punkt.«
»Welchem Punkt?«
»Als ich den Grund herausfand, warum sie nicht mehr bei mir erschien.« Er starrte aus dem Fenster und schien Millionen Meilen von mir entfernt zu sein. Nur seine Stimme war noch da. Ich konnte deutlich verstehen, was er sagte. Viel zu deutlich.
»Sie kam nicht mehr zu mir, weil sie zu ihm ging. Nacht für Nacht. Sie ging aber zu ihm nicht wie zu mir, mit ausgestreckten Armen. Nicht aus Liebe. Sondern voller Haß. Denn sie wußte, daß er versuchen wollte, sie zu verjagen. Wie soll ich mich ausdrücken? Das, was er mit mir anstellte, glich einer Geisterbeschwörung. Du weißt, was eine Geisterbeschwörung ist, nicht wahr? Vertreibung der Dämonen, Geister und Hexen.«
»Joe, du mußt mit diesem Unsinn aufhören. Reiß dich zusammen!« Er lachte. Während er sprach, griff er wieder zur Flasche. »Ich soll damit aufhören! Ich! Dabei habe ich nicht einmal damit angefangen! Patridge hat es mir berichtet. Als er einem Zusammenbruch nahe war, mußte er es mir einfach sagen. Ich sollte ihm helfen. Ist das nicht lustig? Aber ich konnte ihm nicht helfen. Ich war von meinen Wahnvorstellungen befreit. Das einzige, was ich konnte, war, genauso weise Sprüche von mir zu geben, wie du es jetzt tust.
Ich ging nach Hause und las am nächsten Morgen in der Zeitung, daß er aus dem Fenster gesprungen wäre. Das glaube ich nie und nimmer! Sie muß ihn hinausgestoßen haben. Er hatte Angst vor ihr, und Donna wurde immer stärker – genau, wie ich es vorausgeahnt habe. Sein Körper wurde durch den Sturz zerschmettert und lag über den ganzen Bürgersteig verteilt –«
Jetzt war ich es, der nach der Flasche griff. »Und nur weil ein Psychiater durchgedreht ist und Selbstmord begangen hat, hörst du mit der Arbeit auf und fängst an zu saufen«, brüllte ich. »Weil irgendein armer, überarbeiteter Bursche übergeschnappt ist und vor die Hunde gegangen ist, mußt du dasselbe tun. Ich hätte dich
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