1547 - Adel vernichtet
Familie befand. Die de Geaubels lebten völlig normal in dieser Stadt, aber sie waren nicht normal. Sie verbargen ihre wahren Absichten hinter der harmlosen Fassade, denn was sie aßen, das war…
Nein, nicht mehr daran denken, sonst muss ich würgen!, dachte sie und schüttelte den Kopf.
Soll ich mich verfluchen? Soll ich mir Vorwürfe machen, weil ich die Serie über die Küche der Adligen angefangen habe zu schreiben?
Nein, es war ein großer Erfolg geworden. Ihr Chefredakteur war darauf angesprungen. Dem blauen Blut in die Töpfe zu schauen, das war es doch, und dabei nicht nur zu denjenigen hingehen, die sowieso schon jeder kannte. Viel wichtiger waren die Adligen, die völlig normal in London lebten und sich nicht ins Licht der Öffentlichkeit drängten.
Natürlich hätte sie auch prominente Blaublütler aufgesucht, das war alles okay, aber der niedere Adel hatte ihr viel mehr Spaß bereitet. Die Leute waren ihr gegenüber offen, während man weiter oben doch mehr auf Contenance achtete und oft versuchte, das wahre Ich zu verbergen.
Sie kannte die Facetten, sie kannte auch die Arroganz mancher Leute, und einige hatten sogar versucht, sie ins Bett zu bekommen, was jedoch keinem gelungen war.
Dinah Cameron machte sich keine Illusionen. Sie war und blieb eine Gefangene. Dass man nach ihr forschen würde, konnte sie sich nicht vorstellen. Zumindest nicht sofort. Es würde dauern, bis die Redaktion sie zu vermissen begann.
Und dann konnte sie längst tot sein. Gestorben auf eine Weise, an die sie nicht denken wollte, und auch nicht daran, was mit ihr geschehen würde, nachdem sie tot war.
Auch wenn sie indirekt an den Begriff Essen dachte, drehte sich ihr der Magen um. Da hatte sie immer wieder das Gefühl, sich übergeben zu müssen, und der Schweiß trat ihr aus den Poren. Sie spürte zudem eine Schwäche in den Knien und war in diesem Moment froh, sich setzen zu können.
Das alte Bett stank nicht, es war die Matratze, die den Geruch ausströmte.
Und als sie die dunklen Flecken auf der Unterlage sah, dachte sie sofort an Blut und schüttelte sich.
Wann kamen sie?
Wann werde ich geholt?
Auf diese Fragen erhielt sie keine Antwort, und so blieb sie weiterhin in der Stille sitzen, die sie wie einen unmenschlichen Druck verspürte, der sogar ihr Atmen erschwerte.
Zu hören war außerhalb des Raumes nichts. Die andere Seite ließ sich Zeit. Man wollte sie nervös machen, man wollte sie weich kochen, und man würde es schaffen, das wusste sie. Es war einzig und allein eine Frage der Zeit.
Plötzlich schreckte sie zusammen.
Da war etwas gewesen!
Dinah erhob sich. Sie wollte nicht mehr sitzen. Im Stehen war die Konzentration besser, und sie hatte ihre Ohren gespitzt, wobei sie voll konzentriert war.
Es war ein Geräusch gewesen. Leider hatte sie es nicht identifizieren können. Sie ging davon aus, keinem Irrtum erlegen zu sein, und sie drehte den Kopf der Tür zu.
Von dort war der Laut zu ihr gedrungen. Und jetzt? Wiederholte er sich oder hatte sie sich doch getäuscht?
»Nein«, murmelte Dinah. »Noch bin ich nicht durchgedreht. Ich habe mich noch immer in der Gewalt.«
Nahe der Tür hielt sie an. Der Instinkt sagte ihr, dass etwas im Busch war. Sie musste sich nur lange genug Zeit lassen und nicht die Nerven verlieren.
Es tat sich nichts.
Keine weiteren Laute.
Kein Flüstern, kein Lachen, keine Drohungen…
Und doch zuckte sie zurück, als sie das Kratzen an der Außenseite der Tür vernahm. Es hörte sich an, als wäre eine Katze damit beschäftigt, ihre langen Krallen über das Holz zu ziehen, um ihr Angst einzujagen.
Oder waren es Finger?
Sofort entstand ein bestimmtes Bild vor ihren Augen. Sie dachte an die Knochenhand des Marquis. Es war keine Einbildung gewesen, dass sie es gesehen hatte, und sie dachte daran, dass es möglicherweise der Anfang vom Ende gewesen war. Man wollte sie fertigmachen, auf ihrer Angst herumtrampeln und ihre Nerven noch stärker strapazieren.
Es war tatsächlich der Fall.
Ihre Nerven wurden strapaziert. Eine Gänsehaut war auf ihrem Rücken entstanden. Dass sie nicht zitterte, wunderte sie selbst. Aber sie traute sich auch nicht näher an die Tür heran, um ihr Ohr dagegen zu drücken.
Dinah blieb ein paar Schritte von ihr entfernt stehen und wollte erst mal abwarten.
An das Kratzen hatte sie sich beinahe gewöhnt, da passierte etwas anderes, und sofort richteten sich ihre Nackenhärchen auf.
»Bist du noch da?«
Dinah schwieg. Nur ihr Herz klopfte stärker.
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