1555 - Zu Arkons Ruhm und Ehre
über Gheetar von Tereomin gesagt, der doch der eigentliche Schuldige war?" fragte Atlan. „Nichts. Ich meine, in der Öffentlichkeit. In der Chronik vermerkt Haemon, daß es ihm gelungen ist, seinen Vater aus der ganzen Sache herauszuhalten. Das Attentat war von Pelath geplant und durchgeführt worden.
Pelath war tot. Es bestand keine Notwendigkeit, Gheetar mit in das unappetitliche Durcheinander hereinzuziehen. Haemon hatte nichts für seinen Vater übrig. Er wäre nur zu gern an die Öffentlichkeit getreten und hätte verkündet: Schaut her, der Tattergreis hat seinen eigenen Sohn umbringen wollen. Aber die Schande wäre selbst für die hochangesehene Familie Tereomin zuviel gewesen."
„All das steht noch in der Chronik?" wollte Atlan wissen. „All das, aber nicht mehr", antwortete Theta von Ariga. „Das heißt, in dem Teil der Chronik, den Enderoa einsehen durfte. Was danach kommt, wissen wir nicht."
Atlan war nachdenklich geworden. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen. Man glaubte ihm anzumerken, wie er mit seinem Extrasinn Zwiesprache hielt. Ein paar Minuten vergingen, ohne daß ein Wort gesprochen wurde. Dann fragte Atlan: „Ist das die Schande, mit der Enderoa nicht leben kann, weil sie auf dem ganzen Volk lastet?"
Theta von Ariga ließ sich Zeit mit der Antwort. Man merkte ihr an, daß sie ihre Überlegungen genau verstanden wissen wollte. Sie sprach langsam und eindringlich. „Dieselbe Frage habe ich mir auch schon gestellt. Die Antwort ist ›nein‹. Ich kenne mich einigermaßen in der Geschichte unseres Volkes aus. Es gab in ferner Vergangenheit Zeiten, da waren gerade unter den mächtigsten Familien Vater-, Bruder- und Kindesmorde an der Tagesordnung. Ich glaube, jede Zivilisation macht eine solche Phase der Entwicklung durch, die eine früher, die andere später. Für Haemon von Tereomin wäre es damals, vor fast elftausend Jahren, verheerend gewesen, wenn die Öffentlichkeit erfahren hätte, daß das Attentat in Wirklichkeit von seinem Vater ausgegangen war. Besonders wenn dazu Gheetars Motiv bekannt geworden wäre: Geiz. Aber ich glaube nicht, daß Enderoa einen solchen Vorgang als eine Schande bezeichnen würde, die auf dem gesamten Volk lastet."
„Es gibt also noch mehr?"
„Es gibt noch mehr. Davon bin ich fest überzeugt", bestätigte Theta von Ariga.
Atlan erhob sich. „Ich werde mit Enderoa darüber sprechen", sagte er. „Soll ich ihn benachrichtigen, daß du ihn sehen willst?"
Nach kurzer Überlegung machte Atlan die Geste der Verneinung. „Er soll sich nichts zurechtlegen können", meinte er. „Es geht auf Mitternacht. Ich will ihn überraschen."
Es gab auf Arkon keine Städte. Die Arkoniden hatten die bebaubare Oberfläche ihrer Heimatwelt zersiedelt.
Allerdings waren sie mit Bedacht vorgegangen. Großmaßstäbliche Beschädigungen der Natur waren vermieden worden. Die Kristallwelt war besiedelt worden, als die Arkoniden - damals noch abtrünnige akonische Aussiedler - bereits einen hohen Stand nicht nur der Technik, sondern auch des Umweltverständnisses erreicht hatten. Es waren auf Arkon kaum jemals Straßen gebaut worden, weil der Verkehr vom ersten Tag an mit Fahrzeugen bewältigt wurde, die die Luft als Transportmedium benützten: Gleiter, Fähren, interkontinentale Degrav-Schiffe. Es entsprach der arkonidischen Mentalität, daß jeder sich sein Haus dort baute, wo ihm die Umgebung am besten gefiel. Und es war ein Ausdruck arkonidischen Individualismus, daß eine Umgebung um so mehr Anziehungskraft besaß, je weiter sie von den Trichterbauten der nächsten Nachbarn entfernt war. Wer ein Haus errichtete, der achtete darauf, daß es von einem möglichst großen Areal nahezu unberührter Natur umgeben war. Bäume wurden nur gefällt, wo es unbedingt nötig war. Felsformationen, Wasserflächen und Bodenunebenheiten blieben unverändert erhalten. Ein terranischer Siedlungsingenieur, der mehrere Jahre auf der Kristallwelt verbrachte, hatte nach seiner Rückkehr zur Erde erstaunt geäußert: „Auf Arkon versteht man es, dem Begriff ›Zersiedelung‹ einen guten Ruf zu verleihen."
Natürlich gab es Ausnahmen von der allgemeinen Regel. Es gab Bewohner Arkons, die die Nähe des Nachbarn nicht scheuten, sie vielleicht sogar suchten. Erstaunlicherweise fanden sich viele von diesen ausgerechnet in den Kreisen der Wissenschaft, wo doch gerade Wissenschaftlern gern der Hang zur Eigenbrötelei nachgesagt wurde. Wie dem auch immer sein mochte: Es gab
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