1559 - Kleine böse Nathalie
wir fanden nichts mehr heraus, aber der Anruf hatte uns bewiesen, dass wir uns auf einer richtigen Fährte bewegten. Zumindest Bill war in den Dunstkreis der Mörderin geraten, und er würde sich vorsehen müssen.
Mit den Gedanken beschäftigte sich auch Sheila, die ihn einige Male darauf hinwies.
»Ja, ich weiß«, sagte Bill. »Aber so was erleben wir ja nicht zum ersten Mal. Ich stelle mich schon darauf ein.« Er drehte sich zu mir um. »Ich glaube nur nicht, dass in dieser Nacht noch etwas passieren wird. Wir können den morgigen Tag abwarten.« Bill sah mich an. »Oder welche Meinung hast du, John?«
Ich nickte und korrigierte ihn. »Den heutigen Tag, Bill. Mitternacht ist soeben vorbei.«
»Meinetwegen auch das.«
Ich stand auf. »Dann werde ich mir mal ein Taxi rufen, das mich nach Hause fährt.«
Sheila sprach dagegen. »Du kannst auch hier übernachten.«
»Nein, nein, das ist nett gemeint, aber ich schlafe lieber im eigenen Bett.«
»Gut.«
Bill rief ein Taxi. Ich trank noch mein Glas aus. Der Teller mit den Fingerhäppchen war leer geworden, und ich fragte Bill, ob er die Alarmanlage eingeschaltet hatte.
»Das mache ich, wenn du weg bist. Du brauchst um mich keine Angst zu haben.«
»Vergiss nicht, dass wir es mit einer eiskalten Mörderin zu tun haben, auch wenn sie spricht wie ein hypernervöses Kind. Das kann alles Tarnung sein.«
»Weißt du, was mir durch den Kopf geht, John?«
»Nein.«
»Dass dieser Eric Garner vielleicht nicht der einzige Mensch ist, der durch diese Person ums Leben gekommen ist. Dass wir es unter Umständen mit einer mehrfachen Mörderin zu tun haben.«
»Nicht schlecht«, murmelte ich und legte eine Hand auf die Sessellehne. »Und wahrscheinlich wird sie auf die gleiche Art getötet haben.«
»Das ist anzunehmen.« Er lächelte etwas süffisant. »Es ist eben nur noch nicht aufgefallen.«
»Offiziell nicht. Wenn ich allerdings die Fahndungsabteilung einschalte, könnten wir Erfolg haben.«
»Wann tust du das?«
»Heute früh. Außerdem will ich abwarten, was die Spurensicherung am Tatort ergeben hat. Ich verspreche mir einiges davon. Das Gefühl habe ich.«
»Dann hoffe ich nur, dass es dich nicht täuscht.«
Wir waren in den Eingangsbereich gegangen. Eine Kamera zeichnete auf, was draußen ablief. So war auf einem Monitor zu erkennen, wann das bestellte Taxi kam. Auf dem Bildschirm jedenfalls war nichts Verdächtiges zu sehen.
Sheila trat zu uns. Die senkrechte Falte auf ihrer Stirn deutete an, dass sie sich Sorgen machte. Sie nagte auch leicht nervös auf der Unterlippe, aber sie sagte nichts, denn es erschien der bestellte Wagen.
Ich verabschiedete mich von den Conollys, die mir versprachen, auf der Hut zu sein.
Dann öffnete ich die Haustür und ging durch den Vorgarten in Richtung Tor.
Es war nichts Verdächtiges zu sehen. Ich sah im Licht der Bodenscheinwerfer nur einige Osterglocken in voller Blüte und dass es schon Sträucher gab, die kleine grüne Blätter bekommen hatten.
Der Fahrer war ausgestiegen und wartete auf mich. Er rieb seine Hände.
»Nicht eben warm für den März«, begrüßte er mich.
»Sie sagen es.«
»Wohin, Sir?«
Ich nannte ihm vor dem Einsteigen meine Anschrift. Als ich die Tür zuschlug, da kreisten meine Gedanken bereits wieder um den neuen Gegner oder die Gegnerin.
War sie eine Frau? Ein Kind? Ein Dämon?
Ich wusste es nicht.
Aber eines stand fest. Sie scheute sich nicht davor, über Leichen zu gehen, und das tat sie bestimmt nicht ohne Grund.
Ein Motiv musste es geben, denn niemand mordete nur, weil es ihm Spaß machte.
Ich ahnte schon jetzt, dass uns noch einige Überraschungen bevorstanden…
***
Nathalie Elcott saß in ihrem Wagen und hielt die Augen halb geschlossen. Vor sich sah sie das Lenkrad und auf ihren Knien stand der Schädel ihres Vaters.
Sie fühlte sich wieder so allein, aber nicht völlig am Boden zerstört, denn sie hatte etwas geleistet.
Dieser geile Eric Garner war tot.
Damit hatte sie schon eine Pflicht erfüllt und war ihrem Ziel einen großen Schritt näher gekommen. Ihr Vater konnte stolz auf sie sein, und wie in Trance streichelte sie den bloßen Knochenschädel. Allmählich entspannte sie sich, denn sie hatte getan, was hatte getan werden müssen.
Es war ihr gelungen, den Fahrer des Porsche zu identifizieren, und das war gut so, denn in ihm sah sie das nächste Opfer. Ob es richtig gewesen war, mit ihm zu sprechen und ihn indirekt zu warnen, das wusste sie nicht. Aber sie hatte es
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