1563 - Blut-Geschwister
nicht viel gesehen. Da unten ist die Beleuchtung nicht eben gut. Aber der sah aus wie Boris, ein Pfleger von der Krankenstation. Sein Gesicht war so anders. So bleich und dann - dann, die Zähne, glaube ich.«
»Waren sie lang?«
»Ich glaube schon. Er sprang mich an. Er wollte mir an den Hals. Das hat er auch geschafft. Und dann habe ich mich losreißen können und bin geflohen.«
Harry Stahl nickte. Sie hatte ihm das bestätigt, was er sich schon zuvor gedacht hatte. Das war der Angriff von einem Vampir gewesen, und jetzt stand auch fest, dass es Boris gewesen war.
»Danke«, sagte Harry. Er richtete sich auf und drehte sich Walter Quirin zu, der zugehört hatte und blass geworden war. »Sie kümmern sich um die Frau. Ich werde mich mal im Keller umsehen.«
Walter riss den Mund auf. Es sah so aus, als wollte er protestieren, doch dann schloss er den Mund wieder und nickte.
Die Bedienung sagte nichts. Es stand nicht mal fest, ob sie alles mitbekommen hatte.
»Wollen Sie wirklich gehen?«
»Ich muss.« Mehr sagte Harry nicht. Er drehte sich auf der Stelle um und ging dorthin, woher Lisa gekommen war…
***
Boris wälzte sich über den Boden. Er hatte Blut trinken und sich sättigen wollen, aber er hatte sich ungeschickt angestellt und das Blut nicht saugen können.
Seine spitzen Zähne hatten Wunden hinterlassen, und aus ihnen war der rote Lebenssaft gequollen, nach dem er so gierte.
Er hatte dann ein paar Tropfen weglecken können, aber das war auch alles gewesen.
Und jetzt lag er am Boden und hatte die Zunge aus dem Mund gestreckt, um durch das Kreisen die letzten Tropfen weglecken zu können, damit er zumindest etwas davon hatte.
Er schüttelte sich und kam wieder auf die Beine. In ihm tobte die Gier. Er hatte hier ein Versteck gefunden, denn in den Kellerräumen kannte er sich aus. Er hatte darauf gelauert, dass jemand kommen würde, so war es dann auch gewesen, aber er hatte es nicht geschafft, sich zu sättigen.
An eine Verfolgung hatte er natürlich nicht gedacht. Hier unten war es dunkel.
Weiter oben erwartete ihn das Sonnenlicht. Dort konnte er auf keinen Fall hin. Das Licht wäre für ihn einfach zu gefährlich gewesen.
Also musste er im Keller bleiben, der sehr geräumig war und ihm zahlreiche Versteckmöglichkeiten bot.
In den Zeiten der Dunkelheit war niemand gekommen. Da hätte Boris sich seine Nahrung holen können. Nur hatte er sich das nicht getraut. Er hatte sich einfach nicht stark genug gefühlt, was nun nicht mehr zählte.
Aber er wusste, dass er zu seinem Recht kommen würde. Er brauchte das Blut einfach. Er roch die Menschen, die sich über ihm befanden, und er wünschte sich, dass ihr Blut durch die Kellerdecke zu ihm herabtropfen würde. Das wäre das Höchste gewesen.
Es blieb beim Wunsch. Um an das Blut der Menschen zu gelangen, musste er warten und Geduld aufbringen, denn sein Warten konnte sich noch über Stunden hinziehen.
Boris suchte sich ein Versteck. Er konnte zwischen verschiedenen Kellerräumen wählen. In einem Teil befanden sich die Lebensmittel und auch die Getränke. In den Regalen lagerte Wein, es gab auch die Kisten mit Säften und verschiedenen Mineralwassern, denn die Bewohner der Residenz konnten bestellen, was sie wollten.
Er zog sich von der Treppe zurück, wo er seine Beute beinahe noch eingeholt hatte, und betrat den Bereich der Getränke, in dem es recht dunkel war. Genau das Richtige für ihn.
Ein Mensch würde Probleme haben, sich hier ohne Licht zurechtzufinden. Doch er war kein Mensch mehr. Dem glich er nur noch vom Äußeren her. Er zählte jetzt zu den Geschöpfen der Nacht.
Boris schlich durch den Mittelgang. Rechts standen die Weinregale. An der linken Seite stapelten sich die Kisten mit den Säften und den Mineralwassern.
Boris sah auch die schmalen Gassen zwischen den Kisten. Es waren insgesamt drei.
Er tauchte in die letzte ein und nahm sich vor, hier zu warten, bis seine Zeit gekommen war.
Es würde noch Stunden dauern, bis die Dunkelheit den Tag ablöste, aber damit musste er sich abfinden.
Aber irgendwann würde er Blut bekommen, und dann würde er sich nicht mehr so unbeholfen anstellen wie beim ersten Versuch - dann würde es klappen…
***
Harry Stahl hätte sich schon John Sinclair an seiner Seite gewünscht, doch das ließ sich leider nicht machen. So war er gezwungen, sich allein auf den Weg und auf die Suche nach dem Vampir zu machen. Es musste sein. Er durfte nicht länger warten.
Er konnte die Reaktionen des
Weitere Kostenlose Bücher