1568 - Schreckenskammer
gesehen, und jetzt musste er begreifen, dass er selbst auf dem Präsentierteller stand.
»Ich glaube nicht, dass du noch große Chancen hast, Meister. Deshalb wäre es besser, wenn du das Messer fallen lässt.«
Der Mann gab keine Antwort.
Bill hatte sich nicht geirrt. Viel älter als fünfundzwanzig Jahre konnte er nicht sein. Seine Haare waren blond und wurden nur zum Teil von einer leichten Mütze verdeckt.
»Weg mit dem Messer!«, zischte Bill.
Der Mann stieß einen Fluch aus. Er machte nicht den Eindruck, als wollte er gehorchen, und nicht mal zwei Sekunden später rannte der Messermann auf Bill zu…
***
Es tat Johnny Conolly zwar leid, den Porsche im Schritttempo fahren zu müssen, aber er wusste, dass es keine andere Möglichkeit gab.
Sie näherten sich auf diese Weise einem Platz, der außerhalb der Ortschafft lag und groß genug war, um die Geschäfte der Schausteller aufzunehmen und auch deren Wagen, die sie in zwei Reihen zusammengestellt hatten.
Ruhig war es. Still, wie es sich für die Nacht gehörte. Hier und da gaben Außenlampen ihren einsamen Schein ab, aber sie brachten Johnny und seine Mutter nicht weiter.
»Wo soll ich parken, Ma?«
Sheila überlegte. Dabei drehte sie sich zweimal auf dem Sitz um.
»Es wäre wohl nicht gut, wenn wir direkt auf die Schreckenskammer zufahren.«
»Sondern?«
»Fahr mal nach links. Das steht ein Materialwagen. Wahrscheinlich schläft dort niemand, der plötzlich den Wunsch verspürt, durch die Nacht zu wandeln.«
»Alles klar.«
Nach wenigen Sekunden hatten sie den Platz erreicht, und Johnny stellte endlich eine Frage, die ihm schon während der Fahrt über auf dem Herzen gelegen hatte.
»Bist du bewaffnet, Ma?«
Sheila verkniff sich eine Antwort. Oder gab eine recht seltsame, denn sie hob nur die Schultern.
»Das ist schlecht.«
»Weiß man noch nicht, Johnny. Wir werden uns zunächst mal die Gegend anschauen oder die Attraktion, von der dein Vater gesprochen hat.« Sie löste den Gurt und stieg aus.
Auch Johnny schraubte sich aus dem Wagen. Sie blieben erst mal stehen, um die Umgebung in sich aufzunehmen, die von einer Stille beherrscht wurde, wie man sie sonst in der Nacht in London nicht fand.
Sie lastete irgendwie auf ihnen. Sie war für beide so etwas wie ein Bote der Furcht, lockend und warnend zugleich.
Sheila gefiel das alles nicht, es war ihr einfach zu trügerisch, dennoch war sie froh, dass sie mitgefahren war. Es ging um ihren Mann, und da konnte sie zu einer Tigerin werden.
Johnny war ein paar Schritte nach vorn und auch zur Seite gegangen, um einen besseren Blickwinkel zu haben. Viel mehr sah er aber von dort aus auch nicht. Am Ende einer Budengasse ragte so etwas wie ein Turm in den Nachthimmel.
Das musste die Schreckenskammer sein!
Johnny holte tief Luft, drehte sich zu seiner Mutter um und wollte etwas sagen.
»Schon gut, Johnny, ich habe das Ding auch gesehen.«
»Und du bist dir sicher?«
»Hundertprozentig.«
»Dann lass uns gehen.«
Sheila kannte den Eifer ihres Sohnes. Da kam er voll und ganz auf seinen Vater. Sie musste ihn bremsen und flüsterte ihm zu: »Nein, nicht so schnell. Du musst damit rechnen, dass dieser Winkler eine Wache aufgestellt hat.«
»Schon gut.«
Mutter und Sohn waren vorsichtig. Sie bewegten sich immer im Schatten der Buden, die ihnen Deckung gaben.
Wenig später standen sie vor der Schreckenskammer. Sie sah wirklich aus wie ein Turm mit Anbau. Und dort, wo der Turm in die Höhe ragte, befanden sich die Kasse und der Eingang.
Beides sah verrammelt aus.
»Weißt du, wo Dad hineingegangen ist?«, fragte Johnny.
»Nein, das hat er mir leider nicht gesagt. Aber wir können es ja mal hier versuchen.«
Johnny nickte. »Irgendwo müssen wir ja den Anfang machen.«
»Ich könnte noch mal anrufen.«
»Nein, Ma, warte noch mal ab. Ich schaue nach, ob die Tür tatsächlich abgeschlossen ist.«
»Okay, ich warte.«
Johnny hatte eigentlich nicht damit gerechnet, eine offene Tür vorzufinden, aber das Schicksal meinte es offenbar gut mit ihm.
»Das glaube ich nicht«, flüsterte er. »Das ist nicht normal.« Eine starke Anspannung erfasste ihn, die noch zunahm, als er weiter ging und in die unbekannte dunkle Welt vor sich eintauchte.
Johnny hätte jetzt eigentlich zurückgehen müssen, denn seine Mutter wartete auf ihn. Das vergaß er plötzlich, denn er stellte fest, dass die Umgebung doch nicht so finster war, wie er beim Eintreten gedacht hatte.
Ein schales, graues Licht breitete sich in
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