1572 - Das Ritual
konzentrierten sich auf Paul Köster, der nicht mehr fähig war, mit dem eigenen Willen dagegen anzukämpfen. Er war wie Wachs unter der geistigen Kontrolle des mächtigen Lambert, der plötzlich aufstöhnte, als sich auf der Spiegelfläche etwas bewegte.
Zuerst dachte er an eine Täuschung, zwinkerte einige Male und sah plötzlich die Gestalt seines Jüngern vor sich.
Da stand er.
So blass und so tot…
Lambert öffnete den Mund. Es sah aus, als wollte er lachen. Ein Laut der Freude verließ seine Kehle, und sein Gesicht zeigte eine widerliche Verklärtheit, die auf einen normalen Menschen nur abstoßend wirken konnte.
Er sah den Tod, und der hatte für ihn seine Schrecken verloren. Es war das Bild im Spiegel, das ihm bestätigte, wer hier der große Sieger war.
Es gab kein Leben mehr in Kösters Augen. Sein Blick war leer, mit dem er ihn anschaute. Tote Augen, ein bleiches Gesicht.
Lambert lachte ihn an. »Du bist tot, Paul. Du bist vernichtet! Es gibt deinen Körper nicht mehr, und dein Geist wird in der Unendlichkeit verschwinden. Mein Ritual ist stärker. Ich habe die dämonische Kraft gewonnen. Ich gebe euch hin, um selbst die Vollkommenheit zu ernten. So und nicht anders ist es eingetreten. Geh mir für immer aus dem Weg Paul, für immer…«
Er hatte den Befehl gegeben und starrte auch weiterhin in den Spiegel.
Es kam jetzt darauf an, ob die andere Seite ihm gewogen war.
Sie war es.
Sein Mund öffnete sich noch weiter, als er sah, dass die Gestalt im Spiegel verblasste. Es ging sehr langsam. Ihre Umrisse verschwammen, und Sekunden später war von ihr nichts mehr zu sehen.
»Durch mich«, flüsterte er, »nur durch mich. Ich habe es geschafft. Ich bin frei. Kein Ballast mehr. Die anderen werden kommen und mich heute Abend vollkommen machen. Dann beginnt das Ritual, und ich werde über allem schweben. Das Tor wird offen sein, und die andere Seite wird mich mit ausgestreckten Armen empfangen…«
Er hätte jubeln und vor Freude schreien können. Aber er blieb ruhig und genoss seinen Triumph im Stillen, wobei er mit beiden Händen über seine Brüste strich.
Frau und Mann - Mann und Frau.
Er war vollkommen. Oder fast. Völlig vollkommen würde er erst nach dem Ritual sein…
***
Monika lächelte uns an, als wir den Biergarten betraten. »Da sind Sie ja wieder. Noch immer Durst, die Herrschaften?«
»Auch das«, sagte Harry. »Allerdings geht es uns mehr um Sie, Monika.«
»Fein. Aber wieso?« Sie bekam einen roten Kopf. »Was kann ich Ihnen denn alles Gutes tun?«
»Wir müssen mit Ihnen reden.«
»Wann? Jetzt?«
»Ja.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das geht nicht. Nein, das geht auf keinen Fall. Schauen Sie sich doch mal hier um. Der Garten ist gut besetzt. Da kann ich meine Kollegen und Kolleginnen nicht im Stich lassen. Das werden Sie verstehen. Am Abend habe ich frei und…«
»Wir müssen aber jetzt mit Ihnen reden.« Harry gab nicht auf. »Ich spreche mit Ihrem Chef.«
»Der wird ganz schön sauer sein.«
»Ich auch.«
»Versuchen Sie es.« Harry betrat das Gashaus durch den Hintereingang. Dagmar und ich hatten inzwischen an einem leeren Tisch Platz genommen. Unsere Gesichter zeigten einen nicht eben fröhlichen Ausdruck.
»Wie kann ein Mensch sein Leben so wegwerfen?«, fragte Dagmar.
Ich runzelte die Stirn. »Er muss einen wahnsinnigen Stress gehabt haben. Etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen.«
»Stress durch unser Erscheinen bei ihm zu Hause?«
Ich hob die Schultern. »Das weiß ich nicht. Aber ich denke, dass ich einen Fehler begangen habe.«
»Und welchen?«
»Ich hätte Paul Köster nicht allein lassen sollen. Mein Platz hätte an seiner Seite sein müssen.«
Dagmar legte ihre Hand auf die meine. »Dass es so kommen würde, John, hat keiner von uns voraussehen können. Wir sind nicht die Kindermädchen eines fremden erwachsenen Mannes. Da kann dir wirklich niemand einen Vorwurf machen.«
»So gesehen hast du recht. Ich denke trotzdem anders darüber. Hinzu kommt noch dieser Lambert. Was wissen wir von ihm?«
»Nichts.«
»Und genau das macht mich so nervös.«
Ich sprach nicht mehr weiter, weil Harry Stahl die Kellnerin Monika an unseren Tisch brachte.
»Dass Sie das geschafft haben, mich von meinem Dienst loszueisen, ist schon ein Wunder.«
Harry lächelte und rückte ihr einen Stuhl zurecht. »Es gibt da immer Mittel und Wege.«
»Da müssen Sie schon was Besonderes sein.«
»Nur ein normaler Mensch, der viele Fragen hat.«
Jetzt ging bei ihr ein
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