1573 - Grauen im Geisterschloss
die unsichtbare Seite davon abhielt.
Die Schreie blieben. Hin und wieder mischte sich auch ein Stöhnen darunter. Für mich war die Vergangenheit bereits zurückgekehrt, nur leider nicht sichtbar.
Immer wieder spürte ich den kühlen Hauch, der mich anwehte. Als wollte mir die andere Seite zeigen, dass sie noch vorhanden war und ich nicht zu siegessicher sein sollte.
Dann änderte sich alles.
Ich hörte einen echten Schrei in meinem Rücken, fuhr herum, lief noch ein paar Schritte vor und sah eine Szene, die ich kaum glauben wollte.
Jenny Holland stand auf der Straße.
Sie hatte ihre Waffe gezogen und richtete sie auf zwei wüst aussehende und mit Äxten bewaffnete Gestalten, die im Begriff waren, die Agentin zu zerhacken…
***
Die Agentin wusste nicht, was sie noch glauben sollte. Ihr ganzes Weltbild war durcheinander geraten. Dabei war noch gar nichts geschehen.
Sie hatten mitten auf der Straße angehalten, weil John Sinclair es nach dieser Warnung so gewollt hatte.
Und nun?
Die Frage konnte sich Jenny Holland mit Berechtigung stellen, denn sie sah nichts, was Sinclairs Reaktion gerechtfertigt hätte. Aber sie wollte nicht nur passiv im Wagen hocken bleiben, sondern selbst aktiv werden, um bereit zu sein, wenn tatsächlich etwas geschah.
Deshalb stieg sie aus.
Von John Sinclair sah sie den Rücken. Er ging den Weg zurück.
Sicherlich suchte er die Stelle, wo es passiert war, aber da gab es nichts zu sehen, zumindest nicht für sie.
Jenny runzelte die Stirn. In ihrem Job hatte sie schon reichlich Erfahrungen sammeln können. Sie war beinahe in jeden Winkel der Welt geschickt worden, kannte fremde Länder und Kulturen. Sie hatte sich mit vielen ungewöhnlichen Dingen auseinandersetzen müssen, aber so etwas hatte sie noch nie erlebt.
Sich Gegnern oder Feinden entgegenzustellen, die nicht vorhanden waren?
Normalerweise hätte sie darüber gelacht. Das tat sie in diesem Fall nicht, denn es geschah etwas, das sie durchaus deutlich wahrnahm.
Der Wind war anders geworden. Oder die Luft.
Wie dem auch sei, sie spürte eine andere Kälte, die jetzt über ihre Haut strich, und sie ging davon aus, dass diese Kühle nicht normal war. So schnell wechselten die Winde hier nicht.
Und noch etwas war anders geworden. Es gab die Stille nicht mehr.
Etwas hatte sie unterbrochen, aber sie wusste zunächst nicht, was es war. Sie drehte sich auf der Stelle und spürte, dass ein ungutes Gefühl in ihr hochstieg, das immer stärker wurde und sie innerlich verkrampfen ließ.
Waren das Stimmen?
Fast hätte sie über ihre eigene Schlussfolgerung gelacht. Es war niemand zu sehen. Also konnte sie auch keine Stimmen hören. Es sei denn, es handelte sich um Geister, die sich auf ihre Weise meldeten.
Kein Flüstern. Da unterhielten sich zwei Männer mit ihren rau klingenden Stimmen. Was sie sagten, war nicht zu verstehen, es irritierte sie nur, dass die Stimmen lauter wurden. Für sie war es ein Zeichen, dass die Männer näher kamen.
Sie warf einen Blick zu John Sinclair hin. Er hatte sich zwar nicht weit von ihr entfernt, doch sie hätte schon rufen müssen, um von ihm gehört zu werden.
»Eine Frau! Wir holen sie uns!«
Die Agentin schrak zusammen. So nah wie jetzt hatte sie die Stimmen noch nicht gehört Mit einer schnellen Bewegung drehte sie sich nach links und traute ihren Augen nicht.
Als wären sie aus dem Nichts gekommen oder vom Himmel gefallen, standen zwei mit Äxten bewaffnete wüste Kerle vor ihr, die sie aus vorquellenden Augen gierig anstarrten…
***
Nein, die Agentin verlor nicht die Nerven, obwohl sie so etwas noch niemals zuvor erlebt hatte. Sie fragte sich auch, ob diese Personen echt waren oder nur Geister.
Aber Geister waren feinstofflich, und die hier sahen verdammt echt aus, und sie waren auch zu riechen, denn ein säuerlicher Schweißgeruch strömte ihr entgegen, sodass sie angewidert das Gesicht verzog.
Wüste Kerle. Langes verfilztes Haar. Ungeschlachtete Gesichter. Offene Mäuler, aus denen zischend der Atem drang. Es hätte Jenny nicht gewundert, wenn sogar Dampf daraus hervorgequollen wäre.
Sie waren mit Fellen bekleidet, die von Stricken gehalten wurden, und sie erinnerten Jenny Holland an die wilden Wikinger, die für eine Weile die Meere beherrscht hatten und mit anderen Menschen nicht eben zimperlich umgegangen waren.
Obwohl alles sehr rasch ablief, kam es der Agentin vor, als würde die Zeit stillstehen. Sie wusste auch nicht, wie sie sich verhalten sollte. Dann fiel ihr ein,
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