1581 - Ekel
verdrehte die Augen, als sie flüsterte: »Aber ich werde mich nicht verhaften lassen, hast du gehört? So weit lasse ich es nicht kommen. Mich verhaftet niemand.«
»Dann bin ich die Ausnahme.«
»Nein, das bist du nicht. Ich bin zu stark, und ich gehöre nicht mehr zu den normalen Menschen.«
»Das weiß ich. Das habe ich gesehen. Aber kein Mensch wird mit einer Schlangenzunge geboren.«
»Ach? Habe ich die?« Sie riss den Mund auf und streckte ihre Zunge aus, damit ich sie deutlich sehen konnte.
So etwas Ähnliches hatte ich mir schon gedacht. Meine Karten waren schlechter geworden. Das merkte auch sie.
»So, und jetzt kannst du mich verhaften, Sinclair, Du kannst mich einem Richter vorführen und ihm den Grund erklären. Ich bin gespannt, was er dazu sagen wird. Ich werde alles abstreiten. Dann steht Aussage gegen Aussage, und du bist der Blamierte. Ich werde noch behaupten, dass du versucht hast, mich zu erwürgen. Die Würgemale an meinem Hals sind schließlich gut zu sehen und sie werden noch etwas bleiben. Du hast verloren, und ich habe gewonnen.«
Ob das tatsächlich der Fall war, wollte ich dahingestellt sein lassen, aber meine Lage sah wirklich nicht gut aus.
Ich dachte daran, dass mich jeder Richter hier in London kannte und wusste, welch einem Job ich nachging, aber auch er brauchte Beweise, und die konnte ich ihm nicht liefern. Es stand nun mal Aussage gegen Aussage.
»Na? Denkst du nach?«
»So kommen Sie nicht davon.«
»Ach? Wieso nicht?«
»In Ihnen steckt eine andere Macht. Etwas Urböses. Das alte Gift der Verführung, der Schlange, sie…«
»Ja, du hast recht. Aber ich sage dir, dass ich bestimme, was die Schlange tut. Nicht du und kein anderer Typ. Das hat schon dieser Ben zu spüren bekommen. Und du solltest wissen, dass du auch weiterhin auf meiner Liste stehst. Sieh dich vor. Irgendwann schlage ich zu, und dann wird dich das Gift töten.«
»Ja, kann sein.« Meine Stimme klang, als hätte ich mich geschlagen gegeben.
Damit verfolgte ich einen bestimmten Plan, denn ich wollte, dass sie weiterhin redselig blieb. »Darf ich fragen, wie Sie zu dieser Schlangenzunge gekommen sind? War es das Streben nach dem Bösen?«
»Für dich sieht es vielleicht so aus, aber das ist es nicht für mich. Ich sehe die Dinge anders. Die Macht der Schlange ist noch vorhanden. Man hat sie aus dem Paradies vertrieben, aber sie ist nicht aus der Welt. Daran solltest du denken, Sinclair. Sie ist noch da, und sie wird noch existieren, wenn es keine anderen Lebewesen mehr auf der Erde gibt.«
»Das glaube ich auch.«
»Ha.« Sie rieb ihre Hände in einer stillen Freude. »Dann müsstest du ja verzweifeln. Du bist doch entschlossen, das Böse zu bekämpfen - oder etwa nicht?«
»Ich versuche es.«
»Wie schön. Und? Hast du die Schlange besiegen können?« Sie schleuderte mir die Worte voller Hohn ins Gesicht.
»Wenn man sie als Sinnbild des Bösen betrachtet, dann nicht. Aber ich gebe nicht auf. Ich habe viele Teilsiege errungen, und das sollte auch Sie nachdenklich machen.«
»Ach, vergiss sie. Du hast bisher nur Glück gehabt. Aber ich sage dir, dass es noch nicht vorbei ist. Noch sind wir allein, und vor deiner Waffe fürchte ich mich nicht.«
»Bist du kugelfest?«
Auch ich ging jetzt in den vertrauten Tonfall über.
»Nein, leider nicht. Aber wie würde das aussehen, wenn du mich erschossen hast? Mich, eine harmlose Frau. Dir würde eine Erklärung schwerfallen, und als Mörderin kannst du mich nicht präsentieren. Noch einmal, dir würde niemand glauben, von diesem Chinesen mal abgesehen. Und für mich besteht überhaupt keine Gefahr, wenn man eines Tages deine Leiche findet.«
»Das sehe ich ein.« Ich blieb gelassen. »Du hast nur etwas vergessen.«
»Ach. Und was?«
»Dass es noch eine Gegenkraft gibt. So war es immer. Das hat sich seit Beginn der Zeiten nicht geändert. Es gibt die eine und es gibt die andere Seite.«
»Und die bist du?«
»Nicht voll und ganz. Ich sehe mich nur als ein Teil davon an. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, das Böse zu bekämpfen und zu vernichten, wenn es denn sein muss.«
»Schön. Und wie?«
Während des Gesprächs hatte mich der Gedanke an mein Kreuz nicht losgelassen. Okay, es hatte mich nicht gewarnt, aber es war auch für Susan Serrano nicht sichtbar gewesen. Das sollte sich jetzt ändern.
Ich zog an der Kette, um das Kreuz freizulegen.
Mein Gegenüber ahnte offenbar, dass ich etwas vorhatte. Ich sah, dass sich die Haut an ihren Wangen
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