1584 - Seelenlos
Job.«
»Oh. Und wie sind die Aussichten?«
»Man muss abwarten.« Ein Löffel kratzte die Schale leer. »Da habe ich es besser als Sie.«
»Wieso?«
Jane lachte verhalten. »Nun ja, ich habe einen Job. Ich bin im Bankgeschäft tätig.«
»Verstehe.«
Die Antwort hatte nach wenig Interesse geklungen. Jane ließ trotzdem nicht locker.
»Ich werde mich hier mit einem Mann treffen, um ein Geschäft abzuwickeln. Er soll auch hier im Hotel wohnen. Gesehen habe ich ihn bisher aber noch nicht.« Langsam näherte sich Jane dem eigentlichen Ziel ihres Gesprächs.
»Kann ja sein, dass er noch kommt.«
»Das hoffe ich. Vielleicht kennen Sie ihn ja.«
Julia Marin hob den Kopf. Zum ersten Mal war so etwas wie Interesse in ihrem Blick zu lesen.
»Wieso sollte ich ihn kennen?«
»Sie wohnen bestimmt schon länger hier im Hotel.«
»Drei Tage.«
»Dann könnten Sie ihn gesehen haben. Er ist Serbe und er heißt Alex Nicolic.« Jane hatte bei diesen Sätzen die Frau nicht aus den Augen gelassen, was auch gut war, denn sie bekam mit, dass Julia Marin zusammenzuckte.
»Sie kennen ihn, wie?«
»Wie kommen Sie denn darauf?«
»Das sehe ich Ihnen an.«
»Nein, ich kenne ihn nicht.«
Jane wollte sich nicht so leicht abspeisen lassen, auch wenn Julia aussah wie jemand, der nichts mehr sagen wollte. Es schien, als wollte sie sich erheben, um Jane loszuwerden.
»Sind Sie sicher?«
»Ja, das bin ich.«
Jane runzelte die Stirn. »Sollten Sie ihn trotzdem kennen lernen, muss ich Ihnen sagen, dass dieser Mann recht gefährlich ist. Man darf ihn nicht unterschätzen.«
»Danke für die Warnung.«
Julia Marin drehte ihren Kopf weg. Sie traf Anstalten, sich zu erheben und genau das wollte Jane verhindern.
Ihre Frage erwischte die junge Frau völlig überraschend.
»Was hat er Ihnen angetan, Julia?« Sie tat nichts. Starr blieb sie auf ihrem Stuhl sitzen.
Jane blickte jetzt auf ihren Rücken und sah das Zucken dort. Sie konnte nicht erkennen, ob sie weinte, es war nichts zu hören.
»Habe ich ein Thema angesprochen, das Ihnen nicht gefällt, Julia?«
»Hören Sie auf!«
Jane sah, dass Julia ihre Hände zu Fäusten geballt hatte.
»Warum sagen Sie nichts, Julia? Warum bleiben Sie so verschlossen? Vielleicht kann ich Ihnen ja helfen.«
»Gehen Sie!«
»Nein, ich bleibe, Julia. Und Sie sollten mir wirklich zuhören. Es ist nicht gut, wenn Sie sich mit einem Menschen wie Alex Nicolic abgeben. Man kann nicht mal behaupten, dass er noch ein normaler Mensch ist. Er ist ein Veränderter. Er ist einen gefährlichen Weg gegangen, und ich habe das Gefühl, als wüssten Sie über ihn mehr als ich.«
Es waren die richtigen Worte gewesen, die Jane Collins gewählt hatte, denn Julia fuhr mit einer heftigen Bewegung herum, sodass sich beide Frauen in die Augen schauen konnten.
Die Detektivin erschrak, als sie sah, dass sich die Augenfarbe der jungen Frau verändert hatte. Es gab auch keine Pupillen mehr, denn die Augen waren nur gelb…
***
Ob es ein Licht war oder eine feinstoffliche Masse, die sich darin festgesetzt hatte, wusste Jane nicht. Sie nahm auch nur entfernt wahr, dass sie und Julia sich noch allein im Frühstücksraum aufhielten.
Die Augen der jungen Frau waren nicht mehr normal und auch nicht mehr als menschlich zu bezeichnen.
Jane schaffte es, die Überraschung zu verdauen. »Was ist mit Ihnen passiert, Julia?«
»Lass mich in Ruhe!«, zischte sie.
»Nein, das kann ich nicht.«
»Es ist besser für dich!«
»Vielleicht«, gab Jane zu. »Ich kann nur nicht zuschauen, wie dir die Menschlichkeit genommen wird.«
»Das ist bereits passiert.«
»Aha. Und wie?«
Es verging Zeit, bis Julia eine Antwort gab. Schließlich sagte sie: »Er hat mich aufgesucht. Er war bei mir. Er ist in der Nacht in mein Zimmer gekommen…«
Jane wollte mehr wissen, musste aber erkennen, dass Julia den Mund schloss.
»Was ist in der Nacht genau geschehen?«
Sie schluchzte und schüttelte den Kopf. Jane sah, dass sie einen innerlichen Kampf ausfocht. Dann klang ihre leise Stimme auf.
Jane musste sich anstrengen, sie zu verstehen.
»Wie ich schon sagte, er ist zu mir gekommen.« Sie holte noch mal Luft. »Und dann - dann - hat er mir die Seele geraubt. Ja, er hat sie mir geraubt. Ich bin jetzt seelenlos…«
***
Ein normaler Mensch wäre sicherlich völlig überrascht gewesen. Jane Collins war ebenfalls überrascht, nur nicht so intensiv, denn sie brauchte nur an den Vorfall auf der Brücke zu denken, als der Serbe ihr das Gleiche
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