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16 Uhr 50 ab Paddington

16 Uhr 50 ab Paddington

Titel: 16 Uhr 50 ab Paddington Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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sich Lucy wie in einem umwerfend schlechten Museum. Die Marmorhäupter zweier römischer Imperatoren funkelten sie aus Glotzaugen an, es gab einen großen Sarkophag aus einer gräkoromanischen Verfallsepoche, und eine geziert lächelnde Venus stand auf einem Piedestal und raffte ihre Gewänder. Neben diesen Kunstwerken standen ein paar Tapeziertische, übereinander gestapelte Stühle und allerlei Gerümpel: ein rostiger Handmäher, zwei Eimer, mottenzerfressene Autositze und ein grüner Gartenstuhl aus Eisen, dem ein Bein fehlte.
    «Ich glaube, die Farbe habe ich dort drüben gesehen», sagte Alexander vage. Er ging in eine Ecke und zog einen verrotteten Vorhang beiseite.
    Sie fanden ein paar Farbtöpfe und Pinsel, die letzteren trocken und hart.
    «Dann braucht ihr noch Terpentin», sagte Lucy.
    Terpentin war jedoch nicht zu finden. Die Jungen schlugen vor, mit dem Fahrrad welches zu besorgen, und Lucy bestärkte sie darin. Sie sagte sich, dass das Streichen der Uhrengolfzahlen die beiden eine Weile beschäftigt halten würde.
    Die Jungen gingen, und sie blieb allein in der Scheune zurück.
    «Hier müsste dringend mal aufgeräumt werden», hatte sie gemurmelt.
    «Das würde ich mir sparen», riet Alexander ihr. «Hier wird sauber gemacht, wenn die Scheune für Veranstaltungen gebraucht wird, aber das ist in dieser Jahreszeit praktisch nie der Fall.»
    «Soll ich den Schlüssel dann wieder an den Nagel hängen? Wird er immer dort aufbewahrt?»
    «Ja. Hier gibt es nichts zu stibitzen, wie Sie sehen. Diese scheußlichen Marmordinger will niemand haben, und außerdem wiegen sie Tonnen.»
    Lucy stimmte ihm zu. Sie konnte den Kunstgeschmack des alten Mr. Crackenthorpe nicht gerade bewundern. Er musste ein unfehlbares Gespür dafür gehabt haben, aus jeder Periode das hässlichste Exemplar auszuwählen.
    Nachdem die Jungen verschwunden waren, sah sie sich ein wenig um. Ihr Blick schweifte zum Sarkophag und blieb an ihm hängen.
    Dieser Sarkophag…
    Die Luft in der Scheune war etwas modrig, als wäre lange nicht gelüftet worden. Lucy ging zum Sarkophag hinüber. Er hatte einen schweren, dicht schließenden Deckel. Lucy sah ihn grübelnd an.
    Sie verließ die Scheune, ging in die Küche, holte ein schweres Brecheisen und kehrte zurück.
    Es war Knochenarbeit, aber Lucy gab nicht auf.
    Langsam hob sich der Deckel, vom Brecheisen hochgestemmt.
    Er hob sich weit genug, dass Lucy sehen konnte, was sich in dem Sarkophag befand…

Sechstes Kapitel
    I
     
    W enige Minuten darauf verließ eine bleiche Lucy die Scheune, schloss ab und hängte den Schlüssel an den Nagel zurück.
    Sie eilte zu den Ställen, stieg ins Auto und fuhr die Lieferantenzufahrt hinab. Dann hielt sie vor dem Postamt unten an der Straße, trat in die Telefonzelle, warf Geld ein und wählte.
    «Ich möchte Miss Marple sprechen.»
    «Sie hat sich hingelegt, Miss. Sie sind Miss Eyelesbarrow, nicht wahr?»
    «Ja.»
    «Ich werde sie nicht stören und damit hat sich’s, Miss. Sie ist eine alte Dame, und sie braucht ihren Schlaf.»
    «Bitte wecken Sie sie. Es ist dringend.»
    «Ich werde sie nicht –»
    «Bitte tun Sie unverzüglich, was ich Ihnen sage.»
    Notfalls konnte Lucys Stimme messerscharf klingen. Florence wusste, wie weit sie gehen konnte.
    Kurz darauf drang Miss Marples Stimme durch den Hörer.
    «Ja, Lucy?»
    Lucy holte tief Luft.
    «Sie hatten Recht», sagte sie. «Ich habe sie gefunden.»
    «Eine Frauenleiche?»
    «Ja. Eine Frau in einem Pelzmantel. Sie liegt in einem Steinsarkophag in einer Art Museumsscheune beim Haus. Was soll ich jetzt machen? Ich glaube, ich sollte die Polizei rufen.»
    «Ja. Sie müssen die Polizei rufen. Sofort.»
    «Aber was ist mit allem anderen? Was ist mit Ihnen? Als Erstes wird man mich doch fragen, warum ich scheinbar ohne jeden Grund einen tonnenschweren Steindeckel hochstemme. Soll ich einen Grund erfinden? Mir würde schon einer einfallen.»
    «Nein», sagte Miss Marple leise, aber bestimmt, «ich glaube, Sie wissen, dass Sie jetzt die volle Wahrheit sagen müssen.»
    «Über Sie?»
    «Über alles.»
    Plötzlich erschien ein Lächeln auf Lucys blassem Gesicht.
    «Nichts leichter als das», sagte sie. «Aber ich könnte mir denken, dass man mir kaum glauben wird.»
    Sie hängte ein, wartete einen Augenblick und wählte dann die Nummer der Polizeiwache.
    «Ich habe soeben einen Leichnam in einem Sarkophag in der Großen Scheune von Rutherford Hall entdeckt.»
    «Wie bitte?»
    Lucy wiederholte den Satz, nahm die

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