16 Uhr 50 ab Paddington
genauso. Cedric gibt sie das Gefühl, er sei ein guter Maler… wie heißt der andere… Harold weiß, wie wichtig ihr sein klares Urteil ist – und Alfred darf sie mit Geschichten von seinen Kuhhandeln schockieren. O ja – sie ist eine kluge Frau – lässt sich nicht so leicht zum Narren halten. Na egal, brauchen Sie mich noch? Soll ich mir jetzt, wo Johnstone fertig ist» – Johnstone war der Polizeipathologe – «die Leiche anschauen? Vielleicht ist sie ja einer meiner Kunstfehler.»
«Ja, Doktor, es wäre mir lieb, wenn Sie sie sich mal anschauen könnten. Wir müssen sie identifizieren. Ich fürchte, für den alten Mr. Crackenthorpe ist das unmöglich, oder? Eine zu große Belastung.»
«Belastung? Ach i wo. Das vergibt er Ihnen oder mir nie, wenn wir ihn keinen Blick drauf werfen lassen. Er ist richtig wild darauf. So etwas Spannendes ist ihm bestimmt seit fünfzehn Jahren nicht mehr passiert – und es kostet ihn keinen roten Heller!»
«Dann fehlt ihm also in Wirklichkeit gar nicht viel?»
«Er ist zweiundsiebzig», sagte der Arzt. «Das ist eigentlich schon alles, was ihm fehlt. Ab und zu plagt ihn das Rheuma – wem ginge das nicht so? Nur nennt er es Arthritis. Nach dem Essen hat er einen beschleunigten Puls – warum auch nicht? Aber er macht daraus gleich ein Herzleiden. Aber er kann alles tun, was er will. Ich habe viele solche Patienten. Die ernsthaft Kranken beharren meist stur darauf, dass sie kerngesund sind. Kommen Sie, schauen wir uns Ihre Leiche mal an. Unangenehmer Anblick, was?»
«Nach Johnstones Schätzung ist die Frau seit zwei bis drei Wochen tot.»
«Also ziemlich unangenehm.»
Der Arzt stand vor dem Sarkophag und ließ den «unangenehmen Anblick» mit unverhohlener Neugier, aber professioneller Nüchternheit auf sich wirken.
«Noch nie gesehen. Keine Patientin von mir. Ich kann mich nicht erinnern, sie je in Brackhampton gesehen zu haben. Sie muss mal ganz gut ausgesehen haben – hm – irgendwer hatte sie wahrlich auf dem Kieker.»
Sie gingen an die frische Luft. Dr. Quimper sah am Haus empor.
«Gefunden in der – wie nennen sie das – in der Großen Scheune – in einem Sarkophag! Phantastisch! Wer hat sie gefunden?»
«Miss Lucy Eyelesbarrow.»
«Ach, die neue Stütze der Hausfrau? Was hat die denn in Sarkophagen herumzuschnüffeln?»
«Das wüsste ich auch gern», sagte Inspector Bacon grimmig. «Ach, was Mr. Crackenthorpe angeht: Würden Sie –?»
«Ich hole ihn.»
Dick in Schals eingemummt, kam Mr. Crackenthorpe in Begleitung des Doktors forschen Schritts heran.
«Eine Schande», sagte er. «Eine absolute Schande. Diesen Sarkophag habe ich aus Florenz mitgebracht, das war – warten Sie mal – das muss 1908 gewesen sein – oder erst 1909?»
«Immer mit der Ruhe», warnte ihn der Arzt. «Es ist kein besonders schöner Anblick.»
«Egal wie krank ich bin, ich muss schließlich meine Pflicht tun, oder?»
Mr. Crackenthorpe genügte jedoch ein sehr kurzer Abstecher in die Große Scheune, und mit beachtlicher Geschwindigkeit kam er wieder ins Freie geschlurft.
«Noch nie gesehen!», sagte er. «Was hat das zu bedeuten? Eine absolute Schande. Der ist nicht aus Florenz – jetzt weiß ich es wieder – den habe ich aus Neapel. Ein wunderschönes Stück. Und irgend so eine Närrin muss herkommen und sich darin umbringen lassen!»
Er griff sich an die linke Brusttasche seines Mantels.
«Wird mir zu viel… mein Herz… wo ist Emma? Doktor…»
Dr. Quimper nahm seinen Arm.
«Das ist gleich vorbei», sagte er. «Ich verabreiche Ihnen ein kleines Stärkungsmittel. Brandy.»
Sie gingen gemeinsam zum Haus zurück.
«Sir. Bitte, Sir.»
Inspector Bacon drehte sich um. Zwei Jungen kamen atemlos auf Fahrrädern angesaust. Auf ihren Mienen lag inständiges Flehen.
«Bitte, Sir, können wir die Leiche sehen?»
«Nein, kommt nicht in Frage», sagte Inspector Bacon.
«Aber, Sir, bitte, Sir. Man kann doch nie wissen. Vielleicht kennen wir sie ja. Oh, bitte, Sir, seien Sie doch kein Spielverderber. Das ist nicht fair. Da ist ein Mord geschehen, direkt bei uns in der Scheune. Die Gelegenheit bekommen wir vielleicht nie wieder. Seien Sie kein Spielverderber, Sir.»
«Wer seid ihr beiden überhaupt?»
«Ich bin Alexander Eastley, und das ist mein Freund James Stoddart-West.»
«Habt ihr jemals irgendwo in der Gegend eine blonde Frau in einem hell gefärbten Eichhörnchenmantel gesehen?»
«Also, ich weiß nicht genau», sagte Alexander scharfsinnig. «Vielleicht
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