160 - Martin, Deborah - Die amerikanische Braut
jedem Tanz aufforderte.
Spencer lehnte sich in die Sitzpolster zurück. Genau, er würde Abby behandeln, wie die meisten englischen Lords ihre Frauen behandelten – mit respektvollem Desinteresse. Vielleicht könnte er sich auf diese Weise gegen ihre Reize wappnen und den Abend ohne einen Fehltritt hinter sich bringen.
Denk einfach an deine Arbeit, befahl er sich.
Sobald er zu Hause war und mit der Abendtoilette begonnen hatte, zwang er sich dazu, an das Parlament zu denken, an die eingebrachten Gesetzesvorschläge und an den Widerstand, auf den Sir Robert Peels Pläne zum Aufbau einer Polizeibehörde stießen. Als er nach einer Weile an die Verbindungstür zu Abbys Schlafzimmer klopfte, war er stolz darauf, wie gut es ihm gelungen war, seine aufgewühlten Gefühle wieder unter Kontrolle zu bringen. Abby war auch nur eine schöne Frau unter vielen. Kein Grund, gleich den Kopf zu verlieren.
Doch als Mrs. Graham die Tür öffnete, war es um seine hart erkämpfte Selbstbeherrschung geschehen. Er konnte sich nicht erinnern, dass Abby jemals einen schöneren Anblick geboten hätte. Sie trug ein Kleid aus mit Edelsteinen bestickter grüner Seide, dessen Rock von der hoch angesetzten Taille in üppigen Falten bis zum Boden fiel. Feine Stickerei in einem helleren Grün schien sich zart wie ein Spinnennetz über den Stoff zu legen, der Saum war mit Seidenrüschen besetzt.
Aber den unteren Teil des Kleides fand Spencer nicht beunruhigend – es war die obere Hälfte, die seinen Puls in die Höhe trieb. Du lieber Himmel! Abby trug ihr Haar lose aufgesteckt, und ihre Brüste wurden durch einen Aufsehen erregenden tiefen Ausschnitt betont. Sie sah so aufreizend aus, dass sie jedem Mann den Verstand geraubt hätte. Er würde den Abend niemals überstehen, ohne sie zu küssen! Nicht einmal für seine Zurückhaltung während der Kutschfahrt konnte er garantieren. Es würde nicht lange dauern, und er würde sie atemlos in seinen Armen halten …
„Das geht nicht“, stieß Spencer hervor.
Die französische Zofe, die gespannt auf seine Reaktion gewartet hatte, fragte ungläubig: „Monsieur?“
Er suchte verzweifelt nach Argumenten, mit denen er seine Bestürzung erklären konnte, ohne sich eine Blöße zu geben. Nur ein einziger Grund fiel ihm ein.
„Sie sieht nicht respektabel aus.“ Er war froh, seine Ablehnung auf diese Weise begründen zu können, und fuhr fort: „Niemand wird glauben, dass sie meine Frau ist, wenn sie aussieht wie …“, Spencer suchte nach dem schicklichsten Wort, „… eine Kokotte.“ Als die Zofe ihn verdutzt anschaute, fügte er auf Französisch hinzu: „ Une fille de joie.“
Sowohl Abby als auch die Zofe blickten ihn mit blankem Entsetzen an.
„Pardonnez-moi, monsieur“, entgegnete die Zofe, „das ist die neueste Mode. Ein sehr schönes Kleid für Madame, non! Sie ist wie eine Königin, nicht wie ein fille de joie“
„Unter anderen Umständen würde ich Ihnen zustimmen, aber der Ball ist ohnehin eine heikle Angelegenheit. Abby muss heute Abend wie eine respektable Ehefrau aussehen, und dieses Kleid gewährt zu tiefe Einblicke …“ Spencer versuchte sachlich zu klingen. „Es geht einfach nicht. Der Ausschnitt ist nicht angemessen.“
„Spencer“, wandte Abby ein, „wir haben keine Zeit mehr, meine Garderobe zu ändern. Die anderen Kleider sind noch nicht fertig, und ich kann unmöglich ein Tageskleid anziehen – das wäre ein Affront gegen die Gastgeberin.“
„Dann lege dir ein Fichu um, damit dein Dekolleté verdeckt ist.“ Spencer drehte sich wütend zur Zofe um. „Es ist mir egal, was Sie machen – Hauptsache, Sie verhüllen meine Frau etwas mehr.“
Das Mädchen nickte eifrig mit dem Kopf. „Oui, monsieur, oui.“
„Und noch etwas“, setzte Spencer hinzu, „ihr Haar sollte enger am Kopf festgesteckt werden.“ Damit er nicht in Versuchung kam, ihre Frisur zu lösen und mit seinen Fingern durch ihr langes Haar zu streichen. Er ging mit langen Schritten auf Abby zu und versuchte sich nicht davon beirren zu lassen, dass ihr Gesicht glühend rot angelaufen war. „Ich möchte, dass es hier gelockt wird“, sagte er und zeigte auf ihre beiden Schläfen. „So tragen alle anständigen jungen Frauen ihr Haar.“
„Aber Monsieur“, wehrte die Zofe ab, „das Haar von Madame ist nicht … wie sagt man … geht nicht zu locken. So wie Sie wollen, wird es nicht schön sein.“
Spencer verschränkte die Arme vor der Brust. „Darf ich Sie daran erinnern,
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