1602 - Die Lady aus der Hölle
durch ein Fenster strömte. Es war recht groß für den kleinen Raum, und wir konnten alles überblicken.
Der Schreibtisch mit dem Computer stand mitten im Zimmer. Die Wände waren mit Regalen voll gestellt. Manche mit Akten voll gestellt, aber wir sahen auch Fachliteratur.
Jan hielt vor dem Schreibtisch an. »Man müsste den Computer einschalten.«
»Kannst du.«
»Aber wie ich den Mann einschätze, gibt es da ein Passwort, ohne das wir nicht weiterkommen.«
Ich gab ihr durch mein Nicken recht.
»Und was tun wir?«
Ich hatte auf der breiten Schreibtischplatte einen Briefhalter gesehen. Er bestand aus einer Holzplatte, auf der zwei halbbogenförmige Ringe montiert waren, zwischen die man die Briefe klemmen konnte. Es waren recht viele, die Ringe bogen sich sogar nach außen.
Ich zog die Briefe hervor und schaute sie mir der Reihe nach an. Sie steckten noch in den geöffneten Umschlägen, auf denen ich auch die Absender las. Es waren mir unbekannte Firmen, die wohl allesamt mit der Computerbranche zu tun hatten.
Unwichtig zunächst.
Beim drittletzten Brief wurde ich aufmerksam. Meine Augen zuckten, als ich das Papier aus dem Umschlag holte und es entfaltete. Der Brief war mit der Hand geschrieben worden. Eine sehr steile Schrift. Man konnte nicht sofort erkennen, ob es die Schrift eines Mannes oder einer Frau war.
War es ein Liebesbrief?
Die ersten Zeilen wiesen darauf hin. Ich winkte Jane heran und las halblaut vor.
»Es ist wunderbar, dich getroffen zu haben, mein Freund. Und ich denke, dass so etwas wie ein Band der Liebe zwischen uns entstehen könnte. Um es zu festigen, möchte ich dich bitten, dass du mir die Information, von denen ich gesprochen habe, so schnell wie möglich besorgst. Ich denke, dass wir uns in der Nacht treffen werden. Es ist der 29. Dezember. Bitte, halte dich bereit. Ich freue mich auf dich. Surina…«
Ich verstummte und warf Jane Collins einen Blick zu. Sie stand neben mir, und ihre Augen waren groß geworden.
»Und jetzt?«, hauchte sie.
»Sie haben sich gekannt.«
»Und nicht nur das, John. Ich bin sicher, dass er sich in sie verliebt hatte.«
»Ja, in die Lady aus der Hölle.«
»Hat er das gewusst?«
»Keine Ahnung. Wohl eher nicht. Aber sie hat sich bewusst an ihn herangemacht. Dieses Weib ist mit allen Wassern gewaschen.« Ich schüttelte den Kopf. »Ein Liebesbrief, der indirekt zu einer Person führt, die aus der Hölle kommt. Die alte Sache, schon Hunderte von Malen durchgezogen. Sie funktioniert noch immer.«
»Dann sollten wir der Schwester diesen Brief mal zeigen.«
»Das denke ich auch.«
Wir wandten uns beide der Tür zu, die nicht geschlossen war, und deshalb hörten wir auch den Schrei, der von unten zu uns herauf wehte…
***
Die beiden Besucher waren kaum verschwunden, als sich Mandy Lester bewegte und auf eine Schrankwand zuging.
Sie fühlte sich alles andere als gut. Der Kontakt zu ihren Bruder war nicht sehr intensiv gewesen, obwohl sie immer bei ihm übernachtete, wenn sie nicht unterwegs war. Sein Tod hatte sie weniger berührt, als sie es sich hatte vorstellen können. Was sie schockierte, waren die Umstände, wie Richard gestorben war.
Man hatte ihn ermordet. Eiskalt gekillt, und jetzt hatte sie das Gefühl, dass bestimmte Dinge noch längst nicht zu Ende waren. Sie konnte nicht sagen, was es war, doch die Unruhe in ihrem Innern begann sich in eine bedrückende Angst zu verwandeln.
So etwas kannte sie nicht. In ihrem Job musste sie immer auf der Höhe sein, und sie hatte sich auch ein dicken Fell zugelegt, sonst wäre ihr diese Karriere nicht gelungen.
Aber das hier war etwas völlig Fremdes. Es betraf sie zwar nicht persönlich, aber Mandy ärgerte sich jetzt darüber, dass sie so wenig über die Arbeit ihres Bruders wusste.
Es war ein Fehler gewesen, sich nicht darum zu kümmern. Um ihm zur Seite zu stehen, war es jetzt zu spät.
Als sie die Schranktür öffnete, stellte sie fest, dass ihre Hand zitterte.
Allerdings stand das, wonach sie gesucht hatte, in Griffweite vor ihr.
Es war eine halb volle Flasche Whisky.
Mandy Lester sah sich nicht unbedingt als Trinkerin an, doch es gab gewisse Situationen, da musste sie einfach einen Schluck trinken. Das hatte sie auch an den einsamen Abenden in irgendwelchen Hotelzimmern getan.
Mandy Lester verzichtete auf ein Glas. Sie trank aus der Flasche. Dabei sah sie ihr Bild in dem schmalen und langen Spiegel, der direkt neben der Tür hing.
Nein, sie war nicht mit ihrem Aussehen zufrieden.
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