1605 - Blutnacht - Liebesnacht
weit von uns entfernt, das ist sicher.«
Dagmar war alarmiert. Sie glaubte nicht, dass sich die Frau neben ihr etwas eingebildet hatte.
»Wo hast du den Schatten gesehen?«
»An meiner Seite.«
»Dann tu uns einen Gefallen und bleib ganz ruhig.« Dagmar holte ihre Waffe hervor und legte sie in den Schoß. Moni beobachtete sie bei dieser Aktion, gab aber keinen Kommentar ab.
»Und du hast dich nicht geirrt?«, fragte Dagmar.
»Ich denke nicht.«
Dagmar drehte den Kopf, um nach allen Seiten aus dem Wagen zu blicken.
»Da!«, schrie Moni Schmitz.
Diesmal sah Dagmar es auch.
Vor dem Beifahrerfenster und noch vom Wirbel der Kristalle umgeben war der Umriss eines Frauengesichts zu sehen. Auch die äußeren Gegebenheiten verhinderten nicht, dass Dagmar die Person erkannte.
Es war Anne Höller.
Aber sie hatte sich in eine Blutsaugerin verwandelt, denn überdeutlich waren die beiden langen, spitzen Zähne zu sehen, die aus dem Oberkiefer hervorschauten…
***
Ich wartete!
Stand mutterseelenallein auf dem alten Friedhof und dachte daran, dass ich Besuch von einem Blutsauger bekommen würde. Hundertprozentig sicher war das nicht, aber wie die Dinge sich entwickelt hatten, musste ich davon ausgehen.
Ich blieb nicht an einer Stelle stehen, sondern unternahm eine Wanderung, damit ich von verschiedenen Stellen aus einen Blick über die Mauer in das Gelände werfen konnte.
Es lag noch frei und auch noch hell vor mir, aber ich sah auch etwas anderes.
Eine Bewegung auf der Fläche. Ein Schatten, der darüber hinweg glitt und sich dem alten Friedhof näherte.
War er das?
Ich rechnete damit. Die Spannung in mir stieg an. Ich suchte nach einem Ort, wo ich ihn erwarten konnte, ohne dass er mich sofort sah.
Wahrscheinlich würde er mich spüren, doch das war mir egal. Ich musste ihn stellen. Er durfte keinen Tropfen Menschenblut mehr trinken, das hatte ich mir vorgenommen Und wenn mich nicht alles täuschte, dann war er allein gewesen. Also ohne seine Braut und…
Meine Gedanken stockten, und das lag nicht an mir, sondern an den Umständen. Praktisch von einer Sekunde zur anderen spielte die Natur verrückt. Ich hätte es vielleicht bemerken können, wenn ich zum Himmel geschaut hätte. Das tat ich aber erst jetzt und sah, dass die Klarheit verschwunden war.
Dann kam der Eisregen! Oder auch der Hagel. Ich wusste es nicht genau. Es war jedenfalls kein normaler Schnee, dessen Flocken sanft zu Boden schwebten.
Es ging alles so schnell. Es war ein wilder Schauer, dem ich nicht entgehen konnte. Auf dem Gelände gab es keinen Ort, an dem ich mich hätte unterstellen können.
Es war auch mit der Stille vorbei. Die winzigen Körner prallten auf die harte Schneefläche und verursachten dort einen regelrechten Trommelwirbel. Die Sicht war mir genommen worden. Ich sah nur noch die Grabsteine, die direkt in meiner Nähe standen. Ein paar Meter weiter war schon alles verschwommen.
Und der Blutsauger war unterwegs. Für ihn, dem äußere Einflüsse nichts ausmachten, war das Wetter ideal. Er würde zwar auch seine Probleme haben, denn ich war mir sicher, dass er mein Kreuz spüren würde, mit dem ich bewaffnet war.
Ich drückte mich mit dem Rücken gegen die hintere Seite eines hoch aufragenden Grabsteines und holte die Beretta hervor, die ich in meine rechte Jackentasche steckte. Auch das Kreuz ließ ich dort verschwinden.
Zum Glück trug ich eine Mütze, sonst hätte mich der Eisregen völlig durchnässt.
Wieder wartete ich. Diesmal nur in einer anderen Position, die nicht viel besser war. Wenn ich nach vorn oder zu den Seiten schaute, gab es immer nur dieses eine Bild.
Eine Wand aus Eiskörnern, die aus der Höhe fielen und keinen Anfang und kein Ende zu haben schien. Es waren keine fremden Geräusche zu hören. Der Eishagel übertönte alles, und ich kam mir wirklich wie der große Sucher vor, der nach einem Ausweg Ausschau hielt, ihn aber nicht finden konnte.
War er schon da?
Ich rechnete damit, aber ich sah ihn nicht, auch als ich meinen Standort gewechselt hatte. Aber er würde kommen. Es blieb ihm keine andere Wahl. Seine Sucht nach Menschenblut war einfach zu groß.
Inzwischen stellte ich mir auch die Frage, woher er gekommen war.
Immer wieder wischte ich über mein Gesicht, um klarer sehen zu können. Der Eishagel trommelte noch immer auf den Friedhof nieder, aber ich wurde dabei das Gefühl nicht los, dass er an Stärke verloren hatte. Auch die Geräusche waren leiser geworden. Allerdings waren sie noch immer
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