1610 03 - Soehne der Zeit
als es der Fall gewesen wäre, hätte ich beide Augen zur Verfügung gehabt. Ein Mann im Bischofsgewand kam langsam durch die Allee auf uns zu. Er winkte zwei Priestern zu, die sich aufmerksam vor ihm verneigten, und kam weiter in gemächlichem Tempo in unsere Richtung. Sonnenflecken tanzten auf seinem blassen, langnasigen Gesicht.
»Und Ihr haltet ihn für einen Priester, der sich tatsächlich an das Beichtgeheimnis hält?«, fragte ich.
Dariole hob die Hand und nestelte an ihrem Kopfputz herum. Ich fühlte mich versucht zu sagen, dass auch sie zu viel Zeit in der Gesellschaft von Spionen und Schauspielern verbracht hatte.
»Ist es das Risiko nicht wert? Messire, ich werde mit Euch überall hingehen, aber ab und an würde ich gerne auch mal wieder nach Hause können.«
Dass sie das sagte, und noch dazu in so beiläufigem Tonfall, tat mir weh.
Als der junge Mann sich uns weiter näherte, sah ich, dass er glänzende Augen hatte, üppiges dunkles Haar und einen kleinen Bart. Sein Bischofsgewand war mit prächtiger Spitze verziert. Seine Hände waren lang und elegant, die Finger ungewöhnlich weiß.
Menschen, die ständig Macht ausüben, haben einen ganz besonderen Blick. Und genau diesen Blick hatte der Mann, auch wenn Dariole behauptete, er sei in Ungnade gefallen.
Dariole schaute ihn kurz über ihren Fächer hinweg an und trat ein, zwei Schritte vor, als er an uns vorbeigehen wollte.
»Euer Eminenz, bitte. Dürfte ich Euch um einen Gefallen bitten?«
»Mademoiselle, ich bedaure, aber ich habe nur wenig Zeit.« Seine Stimme klang volltönend, aber auch überraschend trocken für einen so jungen Mann.
Dariole schaute sich unauffällig um, um sich zu vergewissern, dass niemand uns beobachtete. Wir hätten einfach irgendwelche Faulenzer sein können, die ihre Zeit im Garten totschlugen und kurz für ein Gespräch stehen geblieben waren. Wie ich sah, gab es nichts für mich zu tun. Also beschränkte ich mich darauf, den Burschen zu spielen, der geduldig auf die Befehle seiner Herrin wartete, während diese mit dem Bischof von Luçon sprach.
Dariole blickte wieder zu Armand-Jean du Plessis und sagte: »Ich würde mich freuen, wenn Ihr meinem Diener die Beichte abnehmen könntet, Eminenz.«
Er hob die geschwungenen Augenbrauen. »Es gibt viele Kirchen in Paris …«
»Ihr werdet die Beichte von Valentin Raoul Rochefort hören.« Dariole nahm ihren Fächer herunter und blickte ihn offen an. »Und besser hier als in einer Kirche.«
Ich sah Wachsamkeit in seinen Augen, als er mich zum zweiten Mal anschaute.
Trocken sagte er: »Natürlich stehe ich jederzeit bereit, meine Pflicht als Priester zu tun.«
Wenn ich schon Fludd und Caterina vertraute und ihren mathematischen Künsten, dann musste ich zumindest die Möglichkeit einräumen, dass dieser junge Mann zu dem werden würde, was Dariole behauptete.
Wenn ich nicht sprach – vielleicht würde er es dann aber nie werden.
Wie viel von alldem ›Unvermeidbaren‹ stand wirklich fest? Und wie viel hing von Zufall oder Entscheidung ab? Ich brauchte nur zu schweigen. Natürlich würde Dariole toben, aber diese junge Bischof würde an die windgepeitschte Küste von Luçon zurückkehren und Paris vielleicht niemals wiedersehen. Würde er dann tatsächlich niemals ein Mann mit Einfluss werden?
Ich schmeichele mir, dachte ich und ließ mir meine Belustigung nicht anmerken. Ein Mensch bekommt in seinem Leben mehr als nur eine Chance. Sollte tatsächlich der Ehrgeiz in ihm brennen, wie Caterina behauptet hatte, konnte ich ihm nur diese eine Tür öffnen oder sie für ihn schließen.
Er bedachte mich mit einem Blick, der mich umso nervöser machte, als dass er nicht blinzelte.
Sollte ich mich irren, wird er es der Medici erzählen, und sie wird mich – und vielleicht Mademoiselle Dariole – in die Bastille werfen lassen, um dort zu verfaulen.
Ich schaute zu Dariole und sah, dass ihr das auch klar war.
Was ich diesem Mann über König Heinrichs Tod erzählen konnte, würde ihm ein Machtmittel gegen die Königin in die Hand geben und den Wunsch in ihm wecken, Monsieur Rochefort am Leben zu erhalten. Ob er dieses Wissen würde nutzen können, um sich einen Platz neben der Medici und ihrem Sohn zu sichern und die Königin schließlich hinauszuwerfen … Nun, wer von uns vermochte das schon zu sagen, wo die Zukunft doch noch gar nicht existierte?
Wir machen sie, Auslassung für Auslassung, Tat für Tat.
»Es wäre am besten«, sagte ich, »wenn ich bei Euer Eminenz
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